Der Sprung vom Turm

Nicht einmal für den Namen gibt es eine verläßliche Erklärung: War es die B(ereitschafts)-, die B(ewaffnete), die B(esondere) Gendarmerie -
oder war dieses B eine Anspielung auf die "B-Movies" jener Tage? Vor 50 Jahren wurde Österreichs B-Gendarmerie gegründet: über die kurze Geschichte des Bundesheer-Vorläufers.

Ein Festakt in Salzburg, ein Sym posion der Landesverteidigungs akademie Wien und der Gesellschaft für Heereskunde und eine große Ausstellung in Salzburg erinnerten heuer an die Entstehung der B-Gendarmerie vor 50 Jahren. Eine kleinere Sonderschau im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum läuft derzeit noch. Die B-Gendarmerie: Das war die Vorläuferin des Bundesheeres - ist aber für viele ein weitgehend "unbekanntes Wesen".

Selbst für den Namen gibt es keine verläßliche Erklärung - war es die B(ereitschafts)-, die B(ewaffnete), die B(esondere), war es einfach die B-Gendarmerie im Gegensatz zur A(llgemeinen) Gendarmerie, oder war es eine Anspielung auf die "B-Movies" jener Zeit? US-Quellen sprechen von der "Special Gendarmerie" in Österreich.

Auch der Geburtstag liegt - durchaus damenhaft - im dunkeln. Als "offizielles" Datum der Aufstellung gilt der 1. August 1952. Das Programm dahinter hatte jedoch früher begonnen, zeitgleich mit der Intensivierung des beginnenden Kalten Krieges um 1948/49. Eigentlich müßte man noch weiter zurückgehen - bis ins Jahr 1945. Denn schon das erste (provisorische) Kabinett Karl Renners enthielt im Sommer 1945 ein Unterstaatssekretariat für Heerwesen als Basis für die Aufstellung eines eigenen österreichischen Heeres. Doch die Alliierten untersagten Österreich im Dezember 1945 jede militärische Betätigung.

Damit war ein Problem geschaffen, das erst im Zuge des Ost-West-Konfliktes, angesichts der kommunistischen Machtübernahmen in der Tschechoslowakei 1948 und in Ungarn 1947 bis 1949 erkannt wurde: Eine Unterzeichnung des Staatsvertrages, verbunden mit dem Abzug der Besatzungstruppen, hätte in Österreich ein Vakuum hinterlassen - und damit, so die Befürchtung des Westens, einem KP-Putsch gute Chancen eröffnet. Die Sowjetunion sperrte sich jedoch gegen alle Vorbereitungen eines Bundesheeres vor Abschluß des Staatsvertrages (obwohl auch die UdSSR ein österreichisches Heer befürwortete). S
chließlich handelte der Westen - unter amerikanischer Führung - allein; die Maßnahmen zum Aufbau der B-Gendarmerie waren dabei gewissermaßen das militärische Gegengewicht zum Marshall-Plan, mit dem die Westorientierung Österreichs wirtschaftlich gefördert wurde.

Dies traf sich mit den österreichischen Wünschen: Nach der KP-Machtübernahme in der Tschechoslowakei bat die österreichische Regierung die Westmächte im März 1948, Bewaffnung und Ausrüstung der Exekutive zu verbessern.

Einzelne Assistenz- beziehungsweise Alarmzüge und -kompanien im Rahmen der Gendarmerie waren schon seit 1945/46 entstanden, in erster Linie zur Ausbildung junger Gendarmen. Dennoch dauerte es bis 1949, daß in den westlichen Besatzungszonen Schulformationen der Gendarmerie auf größerer Basis als "Alarmabteilungen" zusammengefaßt wurden. Die angehenden Gendarmen erhielten neben der normalen Gendarmerieschulung eine militärische Ausbildung an leichten Infanteriewaffen. Damit war eine zusätzliche Ausbildung der Gendarmerie gegeben, aber es gab noch keine dauernden Einheiten. Erst 1950 war es soweit: In jeder der drei westlichen Besatzungszonen (USA: Salzburg und Oberösterreich südlich der Donau; Großbritannien: Steiermark, Kärnten und Osttirol; Frankreich: Nordtirol und Vorarlberg) entstand ein Bataillon (von den Amerikanern als "Mobile Unit", MU, bezeichnet) von 500 Mann, außerdem eine als "Fahreinheit" getarnte Aufklärungskompanie (mit M-8-Panzerspähwagen, aber ohne Kanone). Der Befehl über diese als "Hilfskörper II" bezeichnete Organisation wurde dem oberösterreichischen Landesgendarmeriekommandanten, Oberst Ernst Mayr, übertragen.

1951 - inzwischen hatte sich die Weltlage mit dem Korea-Krieg verschärft - wurde ein weiterer Ausbau des "Gendarmerie-Sonderprogramms" beschlossen, der die Aufnahme ehemaliger Heeresoffiziere mit Kriegserfahrung enthielt. Gleichzeitig begannen Vorbereitungen für einen eventuellen Kriegsfall: Möglichst viele kriegsgediente Österreicher wurden in Listen aufgenommen und sollten im Ernstfall eines sowjetischen Angriffs nach Italien oder Nordafrika gebracht werden und dort den Grundstock einer österreichischen Exil-Armee bilden.

Bis 1954 wurden etwa 90.000 Mann erfaßt, die davon freilich in der Regel keine Ahnung hatten. Außerdem wurden in Österreich selbst Waffenlager angelegt, um Partisanengruppen gegen die etwaige sowjetische Besatzung zu unterstützen. Alle diese Maßnahmen erfolgten natürlich im Einvernehmen mit der österreichischen Regierung, die ja selber das größte Interesse daran hatte, daß die Alpenrepublik ein westorientierter Staat blieb. (Daß es 1996 zu solcher Aufregung um diese Waffenlager kommen konnte, ist ein skurriler Zug der österreichischen Nachkriegsgeschichte.)

Zurück zur Gendarmerie: 1951/52 wurde die "Militarisierung" der als "Gendarmerieschulen" getarnten Bataillone verstärkt; es entstanden die Gendarmerieschulen Oberösterreich I und II (in Linz-Ebelsberg), Steiermark (Graz), Kärnten (Villach) und Tirol I und II (Innsbruck). Weiters gab es drei Fahreinheiten (das heißt Aufklärungskompanien) sowie ein gemeinsam mit den Amerikanern geführtes "Supply and Maintenance Center" ("Abteilung D") in Stadl-Paura (später Hall in Tirol). Insgesamt sollte diese "B-Gendarmerie" 5000 Mann stark sein. Im August 1952 (in der britischen Zone erst Ende November) übernahmen Offiziere mit Kriegserfahrung die Führung - daher das heurige Gedenken zum 50-Jahr-Jubiläum.

Alle diese Maßnahmen erfolgten unter strengster Geheimhaltung, da es sich genaugenommen um eine Umgehung des vom Alliierten Rat verfügten Verbots militärischer Betätigung handelte. Zwar protestierte die kommunistische Presse gegen diese vermeintliche "Kriegsspielerei", doch duldete die sowjetische Besatzungsmacht die Vorbereitungen für ein österreichisches Heer - nicht zuletzt, weil eine Teilung Österreichs (und folgende Integration der westlichen Zonen in die Nato) keinesfalls im Interesse der Sowjets war. In der östlichen Besatzungszone gab es übrigens ebenfalls bewaffnete Formationen, den "Werkschutz" in den von den Sowjets geführten Usia-Betrieben, der aber kaum mehr als 2000 Mann umfaßte. Und im von den (einstigen) Alliierten gemeinsam besetzten Wien entstand im Rahmen der Wiener Polizei eine Alarmformation, die - organisatorisch von der B-Gendarmerie getrennt - ebenfalls ihren Beitrag zum entstehenden Bundesheer leisten sollte.

Hier sei erwähnt, daß der Aufbau der B-Gendarmerie durchaus parallel mit den Ansätzen zur Wiederbewaffnung im geteilten Deutschland gesehen werden kann. In den westlichen Zonen beziehungsweise der Bundesrepublik begannen 1948 erste Ansätze für die Aufstellung einer Truppe, doch war es erst 1955, nach dem Scheitern des Projekts einer "Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" (die 1952 als gemeinsame europäische Armee im Rahmen der EG geplant war, aber am französischen Mißtrauen gegen die deutschen Nachbarn scheiterte), daß die Bundeswehr gewissermaßen "aus dem Nichts" entstand.

Anders in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR: Die militärische Ausbildung von "kasernierten Bereitschaften" und "Grenzpolizei" begann 1948 und erreichte bald einen Stand von 85.000 Mann. 1950/51 wurden die 24 "Bereitschaften" (Regimenter) umorganisiert und schließlich 1952 als "Kasernierte Volkspolizei" (KVP) mit militärischen Dienstgraden (allerdings in sowjetischen Uniformen - die Bevölkerung sprach von "nachgemachten Russen") formiert.

Das Ziel war eine Armee von 160.000 Mann. Die hohen Kosten für diese von Stalin befohlene Aufrüstung (1952/53 mehr als zehn Prozent der Staatsausgaben) waren allerdings mit anderem schuld an der schweren Wirtschaftskrise 1953. Im Juni 1953 (Volksaufstand in Berlin gegen die Anhebung der Arbeitsnormen) bewährte sich die KVP als Instrument der DDR-Führung, zeigte aber Schwächen, die 1954/55 bei der Umwandlung in die "Nationale Volksarmee" (NVA) behoben werden sollten. Diese trug dann bewußt deutsche Uniformen - nicht zuletzt als Versuch, der "amerikanischen" Bundeswehr eine "deutsche" Armee im Osten entgegenzusetzen.

Die wirtschaftliche Lage in der DDR unterschied sich deutlich von dem - weit bescheideneren - Bemühen um die B-Gendarmerie in Österreich. Denn hier unterstützten die USA den Aufbau massiv. Etwa 70 Millionen Dollar flossen jährlich; Österreich hatte in den US-Hilfsprogrammen de facto den Status eines Nato-Mitglieds. Gerade dadurch entstand freilich eine Achillesferse des späteren Bundesheeres: Da Österreich beim Aufbau der B-Gendarmerie stark von der US-Hilfe abhängig war und überdies ab 1953 keine Besatzungskosten mehr zahlen mußte, stand das Bundesheer ab 1955/56 ohne ausreichendes Budget da - ein Zustand, der sich bis heute nicht grundlegend geändert hat. Ehemalige B-Gendarmen geraten noch heute ins Schwärmen angesichts der durch ausgiebige Munitionsvorräte ermöglichten hervorragenden Schießausbildung. Den Stempel "US" auf Tornister und Taschen interpretierten die Gendarmen als "Unsere Sachen".

Trotz der US-Hilfe war die Aufgabe nicht leicht. Waffen und Gerät waren teils in schlechtem Zustand - neben US-Waffen gab es britische und deutsche Gewehre. Kraftfahrzeuge waren Mangelware; auch Kompaniekommandanten hatten oft nur ein Fahrrad zur Verfügung. Vorschriften mußten erst mühsam - teils nach US-Muster, teils an Hand alter österreichischer Vorschriften - erstellt und mit Durchschlägen vervielfältigt werden.

Die Ausbildung an schweren Waffen verstieß übrigens gegen US-Vorschriften und erfolgte nur "heimlich". Teilweise mußten die B-Gendarmen dafür in US-Uniformen schlüpfen, und es herrschte strengstes Photographierverbot.

Viele B-Gendarmen hatten sich in der Aussicht auf einen sicheren Job beworben und erkannten erst langsam, daß es sich da um etwas anderes handelte als "normale" Gendarmerie. Die Ausbildung war hart; Exerzieren, Waffen- und Gefechtsdienst füllten die Tage, und in der kargen Freizeit wollten die meisten B-Gendarmen vor allem eines: schlafen!

Der Ausgang war beschränkt, eine Eheschließung war verboten, und allfällige Beschwerden wurden mit einem kurzen "Sechs Schilling - und du kannst gehen!" abgeschmettert: Eine Sechs-Schilling-Stempelmarke war nötig, um das Entlassungsgesuch einzureichen. Ehemalige B-Gendarmen rühmen heute noch Kameradschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl in dieser Truppe.

Besondere Probleme bereitete die Gewinnung erfahrener Offiziere und Unteroffiziere - die meisten, die dafür in Frage kamen, hatten nach 1945 (beziehungsweise nach ihrer Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft) bereits zivile Berufe ergriffen, die meist besser bezahlt waren als die unsichere Anstellung als provisorische Gendarmen (der spätere General August S©gur-Cabanac verglich es mit dem Sprung von einem Zehn-Meter-Turm, ohne zu wissen, wie tief das Wasser ist).

B
emerkenswert ist, daß viele - und sehr gute - Offiziere aus Loyali tät zu Österreich und aus Verantwortungsgefühl dennoch den Weg in die B-Gendarmerie fanden und damit die Aufstellung des späteren Bundesheeres erst ermöglichten. Etliche gute Kommandanten blieben übrigens in der Gendarmerie - nicht alle B-Gendarmen, das sei hier vorausgeschickt, wechselten 1955 zum Heer. 1953 entstand in Enns (in der heutigen Unteroffiziersakademie) die Abteilung K (Kurse) zur Ausbildung künftiger Offiziere.

Als Aufgaben der B-Gendarmerie wurden 1954 die Bekämpfung größerer Unruhen, die Hilfeleistung bei Elementarereignissen und - etwas kryptisch umschrieben - "taktische Einsätze" im "Alarmfall" (das heißt im Kriegsfall) genannt. Während es zu ersteren und letzteren erfreulicherweise nie kam, halfen B-Gendarmen mehrmals bei Unglücksfällen, so 1954 bei Lawinenkatastrophen in Vorarlberg und am Dachstein sowie im Juli 1954 bei Überflutungen in Oberösterreich - dies sogar in der sowjetischen Zone am nördlichen Donauufer.

Die B-Gendarmerie wurde systematisch ausgebaut - 1955 zählte sie bereits zehn Schulen beziehungsweise Bataillone, dazu drei Fahreinheiten, die Abteilungen D (Hall in Tirol) und K (Enns) sowie Telegraphenschulen in Villach und Innsbruck, mit zusammen 7000 Mann.

Nach Stalins Tod, 1953, ging der Kalte Krieg in eine Phase der Entspannung über. Damit kam wieder Bewegung in die Staatsvertragsverhandlungen, und im April 1955 einigten sich Österreich und die Sowjetunion auf die Bedingungen für die österreichische Unabhängigkeit. Der Preis für den sowjetischen Truppenabzug waren bekanntlich enorme Zahlungen sowie der Verzicht auf einen Beitritt zur Nato. Am Tag nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages, am 16. Mai 1955, fand in Ebelsberg eine "Befreiungsparade" statt: Ein letztes Mal defilierte die B-Gendarmerie als solche. Am 8. Juli 1955 fiel das alliierte Verbot der militärischen Betätigung; am 27. Juli wurde die B-Gendarmerie in "provisorische Grenzschutzabteilungen" umbenannt. Am 7. September 1955 (seit heuer "Tag des Bundesheeres"!) beschloß der Nationalrat das Wehrgesetz. 6000 ehemalige B-Gendarmen bildeten 1956 den Kader für das neue Bundesheer; im Oktober 1956 rückten die ersten Wehrpflichtigen ein. Aus dem Provisorium der "geheimen" B-Gendarmerie war das neue Bundesheer entstanden.

Allerdings war diese Entwicklung nicht so geradlinig, wie sie rückwirkend scheint. Beide Großparteien sahen in B-Gendarmerie und Bundesheer in erster Linie ein Betätigungsfeld für Parteipolitik und Proporz - freilich gab es in beiden Parteien auch überzeugte Befürworter des Bundesheeres. In der SPÖ war es vor allem Innenminister Oskar Helmer, unter dessen Ägide die B-Gendarmerie entstand; ihm zur Seite wirkte der ÖVP-Staatssekretär und ab 1956 erste Verteidigungsminister Ferdinand Graf.

Ihnen gelang, unterstützt von militärischen Fachleuten wie den späteren Generälen Emil Liebitzky und Zdenko Paumgartten, der Aufbau des Bundesheeres - das sich dann schon im Oktober und November 1956, anläßlich des improvisierten Einsatzes während der Ungarnkrise, bewährte. Doch das ist bereits eine andere Geschichte. [*]

Erwin A. Schmidl, Jahrgang 1956, Dr. phil., Univ.-Doz., ist Leiter des Fachbereichs Zeitgeschichte an der Landesverteidigungsakademie Wien. Zahlreiche Publikationen, unter anderem "Österreich im frühen Kalten Krieg" und "Die Ungarnkrise 1956 und Österreich" (beide Böhlau Verlag, Wien). Die Sonderausstellung "Die B-Gendarmerie in Österreich 1952- 1955" ist im Museumsshop des Heeresgeschichtlichen Museums (Wien III, Arsenal) täglich außer Freitag von 9 bis 17 Uhr zu sehen.

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