"Ich bin ein einsamer Steppenwolf"

Wiener Malerinnen: Wer sind Marie-Louise v. Motesiczky, Broncia Koller, Helene Funke? Zwei Schauen, eine Biografie.

Stolz, mit Pinsel und Palette, hinter der Staffelei stehend. So porträtiert sich für gewöhnlich der Mann im Maler. Mit Kamm statt Pinsel und Handspiegel statt Palette stellte sich dagegen 1926 die 20-jährige Malerin Marie-Louise Motesiczky vor. Zehn Jahre später hielt sie sich dann, bereits Schülerin des Expressionisten Max Beckmann in Frankfurt, als Kundin einer Schneiderin fest _ jedenfalls Zeit ihres Lebens entweder als melancholisches Mädchen oder elegante ältere Dame, im Zweifelsfall sogar lieber mit Salzgurke statt Pinsel.
sAls feministisch sensibler Geist möchte man an derartiger Selbstrepräsentation fast verzweifeln. Kämpferisches Emanzentum scheint nicht Motesiczkys Sache gewesen zu sein. Sie stammte aus einer prominenten Wiener Familie _ ihr Urgroßvater Adolf von Lieben war Nestor der organischen Chemie in Österreich, ihre Großmutter, Anna Todesco, eine der ersten Patientinnen von Sigmund Freud. 1938 musste die Halbwaise mit ihrer Mutter vor den Nazis fliehen. In London fand sie ein neues Zuhause, wo sie zurückgezogen arbeitete, _ und eine Lebensliebe, Elias Canetti, der schließlich hinter ihrem Rücken ein zweites Mal heiratete.

Im Schatten Beckmanns und Kokoschkas

Das "Wien Museum" widmet der wohl ewig als entdeckenswert gehandelten Malerin noch bis Sonntag eine umfassende Retrospektive _ die zweite in Österreich. Die erste wurde ihr 1994, nur zwei Jahre vor ihrem Tod, im Belvedere ausgerichtet. Während man sie damals in Wien sofort stilistisch ihrem Lehrer Beckmann und ihrem Londoner Exil-Bekannten Kokoschka unterordnete, stellte die englische Kunstkritik sie zwei Jahre später gleich auf mit den beiden.
Stilistische Qualifikationen, die bei Männern selten derart rigoros gefällt werden und angesichts Motesiczkys unverwechselbaren Porträts auch recht wenig zu interessieren brauchen. Ihre unverstellten, teils fast karikaturistischen Bilder der kranken, glatzköpfigen Mutter im Altenbett, die im letzten Raum der 70 Werke umfassenden Schau versammelt werden, sind Motesiczkys einzigartiger Beitrag nicht nur zur Kunstgeschichte, sondern auch zu einer Sozialgeschichte des aus der Gesellschaft immer mehr verschwindenden Todes. Spätestens nach dieser Ausstellung, die anlässlich des 100. Geburtstags der Malerin auch in Liverpool und Frankfurt zu sehen war, sollte sich die den Titel bildende Frage "Who is Marie-Louise von Motesiczky?" endgültig erübrigt haben. Bleibt wenigstens zu hoffen.

Verdrängte Künstlerinnen

Denn zumeist wird man in Wien mit großen Retrospektiven von Künstlern wie Kolo Moser (ab 25.#Mai, Leopold Museum) oder Oskar Kokoschka (im Frühling, falls die Nachlass-Probleme geklärt sind, in Albertina und Belvedere) vollkommen zugedröhnt. Nur selten häufen sich gewisse museale wie publizistische Ereignisse derart, dass eine zarte Erinnerung wieder zu sprießen vermag _ nämlich dass sich die Wiener Kunstszene um 1900 wie in der Zwischenkriegszeit nicht nur aus Männern zusammensetzte.
Die feministischen wie misogynen Polemiken rund um dieses auch im 21.#Jahrhundert weitergeführte Ungleichgewicht der Präsentation sind weitestgehend bekannt _ sie reichen vom Vorwurf einer traditionell männlich dominierten Kunstgeschichtsschreibung bis hin zu einer nahezu hysterischen Quotenangst. Die sich zu Gunsten privatwirtschaftlicher Sponsor-Interessen zurückziehende Kulturpolitik tut ihr übriges dazu, das kostspielige institutionelle Ausstellungsfeld vermehrt vom Prinzip "Lonely (male) Star" beherrschen zu lassen.
Umso beachtenswerter, dass neben der Motesiczky-Ausstellung im Wien Museum, wo man schon 2006 mit den Wiener Kinetistinnen gegen den redundanten Name-Dropping-Strom schwamm, zur Zeit auch das Lentos Linz eine Malerin würdigt, die bei weitem nicht zum Standardprogramm österreichischer Überblicks-Ausstellungen zählt. Nicht einmal in der von Wieland Schmied 2002 herausgegebenen österreichischen Kunstgeschichte wird Helene Funke erwähnt, glaubt man dem Künstler-Index. Und das, obwohl sie in der Wiener Kunstszene der Zwischenkriegszeit eine bedeutende Rolle gespielt haben muss: Oskar Laske zeigte sie auf seinem "Narrenschiff" 1923 als einzige Malerin unter lauter Kollegen dozierend mit Pinsel und Palette.

Verarmt, aber Professorin

s-30;0Die 1869 in eine Chemnitzer Industriellenfamilie geborene Künstlerin scheint das Gegenteil Motesiczkys gewesen zu sein, sie musste um ihre Berufung kämpfen, ging nach Paris, 1913 nach Wien, wo sie zu Beginn als Fauvisten-Abklatsch geschmäht wurde und 1957 verarmt, aber immerhin als "Professorin", starb. "Ich bin selbst ein einsamer Steppenwolf", schrieb Funke 1944 an Hermann Hesse.
sDas Lentos zeigt erstmals eine 125 Werke reiche Retrospektive des großteils verschollenen ?uvres der Malerin, praktisch ausschließlich Frauen-Porträts und Landschaften, darunter Meisterwerke wie "Die Träumende", 1913, (Belvedere) und drei Damen "In der Loge" von 1904 (Lentos), die beide leichter Hand mit Werken anerkannter Kollegen Funkes konkurrieren können.

s-12;0Ein Vergleich, der einst nicht akzeptabel schien, wie ebenfalls ausgestellte zeitgenössische Berichte zeigen, in denen Frauen nur reproduzierende, keine schöpferischen Fähigkeiten zuerkannt wurden. Bis 1920 war Frauen fast überall in Europa der Zugang zu Kunstakademien verwehrt. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Mitgliedschaft in den großen Künstlervereinigungen wie der Secession. Was nicht hieß, dass Künstlerinnen nicht ausgestellt wurden. Sie organisierten sich vorwiegend selbst, etwa in der 1910 gegründeten, bis heute existierenden Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs.
ss-18;0In dieser Situation fand sich auch _ trotz Bekanntschaft etwa mit Rosa Mayreder anscheinend ebenfalls kritiklos _ die in München ausgebildete, im damaligen Galizien geborene und in Wien lebende Broncia Koller-Pinell zurecht, der von Boris Manner im Brandstätter-Verlag gerade eine spannende Biografie gewidmet wurde. Von Bertha Zuckerkandl als "vollblütige freudige Künstlernatur" beschrieben, wurde sie von den Secessionisten, dem von ihr verehrten Klimt wie auch dem von ihr und ihrem Mann geförderten Schiele zwar geschätzt. Aber ihre Doppelrolle als Malerin und Mäzenatin diente im Endeffekt nicht ihrem Ruf. Albert Paris Gütersloh brachte es 1934 in ihrem Nachruf auf den Punkt: "Weil sie eine Frau und vermögend war, haben die männlichen und armen Maler sie nie recht geltend lassen wollen."

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