Grüne Pioniere oder Umweltsünder?

Japan. Die Industrienation gilt als eines der grünsten Länder weltweit und als Öko-Pionier. In den Haushalten hat sich das Energiesparen aber noch nicht durchgesetzt.

Tokio. Philosophisch betrachtet sind die Japaner schon von ihren Wurzeln her die geborenen Grünen. Ihre Shinto-Religion sieht die Götter in jedem Berg, jedem Baum, jeder Pflanze – die ganze Natur ist zu verehren. Dem Anschein nach sind die Japaner in der Realität jedoch notorische Umweltsünder.

Die 26.650 Kilometer Küste der vier Hauptinseln sind gnadenlos zubetoniert. Ihre Großstädte sind steinerne Moloche, durchzogen von Hochstraßen auf Betonstelzen. Ihre Häuser sind nach einhelliger Ansicht qualifizierter Architekten fast schon kriminell schlecht isoliert. Bisher hat noch jeder Astronaut vom All aus Tokios Lichtermeer mit seinen glitzernden Werbetafeln ausgemacht. Die Industrienation zweifelt diesen scheinbaren Widerspruch gar nicht an. Sie hält ihn für den Preis dafür, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zu managen.

Aus Japans Sicht sollte deshalb Energieverbrauch nicht allein in absoluten Zahlen gemessen werden, sondern besser in der Relation zum Ergebnis und in den Anstrengungen der Nation, diesen Nützlichkeitseffekt ständig zu erhöhen. Die Wirklichkeit scheint dieser These Recht zu geben. Japan verbraucht pro Kopf der Bevölkerung etwa halb soviel Energie wie die USA, erzielt damit aber in etwa das selbe Pro-Kopf-Einkommen. Die jüngsten Klimaziele der EU werden in Tokio fast schon milde belächelt. „Mit unserem Programm, den Haushalten einen Kauf energiesparender Geräte zu subventionieren, sind wir der EU um 20 Jahre voraus“, jubelt Takayuki Uedo, Manager bei der japanischen Behörde für nationale Ressourcen.


Moralische Verpflichtung

Zweifelsfrei ist Japans Industrie bei vielen Neuerungen ein grüner Pionier. Toyota und Honda brachten das energiesparende Hybridauto zur Serienreife. Die fünf größten Produzenten von Solar-Brennzellen sind in Japan zu Hause. Die Regierung unterhält mit der „Organisation zur Entwicklung Neuer Energien und Industrietechnologien“ ein Forschungsinstitut, dessen Ergebnisse allen Konzernen zugänglich sind. „Energiesparen ist ein Problem der moralischen Dimension“, behauptet Umweltminister Masatoshi Wakabayashi, der sich mit einer grünen Feder am Jackett als Öko-Freak ausweist. „Wir haben die Message der Natur verstanden und darüber ein nationales Verständnis erzielt“, sagt er.

Japan bleibt eigentlich nicht viel anderes übrig, als äußerst sparsam mit den Ressourcen umzugehen. Die wirtschaftliche Supermacht verfügt über keinen Tropfen eigenes Öl und über kein Gas. Fast zwei Drittel ihrer Nahrungsmittel müssen die 127 Mio. Japaner importieren, nur bei Reis könnten sie sich notfalls selbst versorgen. Dennoch leistet sich Japan an teils kuriosen Orten erstaunliche Verschwendung. Beinahe alle Japaner besitzen und benutzen fast ununterbrochen ein Handy mit TV- und Game-Funktion oder Navigationssystem. Rund 80 Prozent der Haushalte verfügen über eine Toilette, die mit Heizung sowie Gerät zur Messung der Körpertemperatur und anderem energieaufwendigen Schnickschnack ausgerüstet ist.

Sicher gibt es mehr oder weniger ernsthafte Bemühungen, den unnötigen Energieverbrauch einzudämmen. Die Regierung erfand für den Sommer „Cool Biz“, was die Büroangestellten von der Pflicht zu Sakko und Krawatte entbindet und die Klimaanlagen entlasten soll. Im Winter erlaubt „Warm Biz“ den Pullover als amtliche Geschäftskleidung. Aber bisher halten sich die wenigsten an diese ungewohnte Etikette. Selbst Umweltchef Wakabayashi räumt ein, dass sich bisher nur 1,8 Mio. Japaner verpflichtet haben, unnötiges Licht auszuschalten. Von einer offiziell verkündeten „Obsession“ der Japaner zum privaten Energiesparen kann deshalb kaum die Rede sein, auch wenn die Industrie diesen Trend vorantreiben möchte. So werden neuerdings Heizer angeboten, die mit einem Sensor die Wärme in Richtung der im Raum befindlichen Menschen lenken. Kühlschränke geben ein Warnsignal ab, wenn deren Tür zu lange offen steht. „Energienavigatoren“ steuern vollautomatisch den Verbrauch eines Haushalts.


Subventions-Wahnsinn

Aber das größte Sparpotenzial liegt eindeutig in Bereichen, die zum unverzichtbaren nationalen Stolz zählen: Transport und Service. In Zeiten steigender Ölpreise erweist sich das als genial eingeschätzte Prinzip „Just in Time“, also die Anlieferung von Produktionsteilen exakt zum nötigen Zeitpunkt, als energiefressende Umschichtung der Lagerhaltung von der Halle auf die Straße. Zudem liefern Millionen kleiner Lkw täglich landesweit fast alles aus, was der Kunde wünscht – Koffer und Golfgepäck zum Flugplatz, Wein und Bier aus dem Supermarkt, und sei es sogar frische Bratwurst vom europäischen Fleischer in der Nachbarstadt. Japans Regierung subventioniert durch Steuerverzicht auf Benzin diesen kollektiven Dienstleistungswahnsinn. Ein Liter Super kostet deshalb in Tokio umgerechnet gerade einmal 80 Cent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2007)


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