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"Über 1500 Meter ist endlich Platz"

Die Presse (Clemens Fabry)
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Als Ostbahn-Kurti transponierte er den Rock'n'Roll nach Favoriten, nun zieht es ihn mit "Stubnblues" in die Berge. Mit der "Presse" sprach er im Gasthaus Birner über Radio, Armut und Hörschaden.

Die Presse: Als Floridsdorfer hat es Sie spät in die Berge gezogen. Alpenverein oder Naturfreunde?

Willi Resetarits: Ohne Bekenntnis! Jedenfalls Sommer und Winter. Im Allgemeinen ist es so, dass überall so viel Leute wohnen, Hoch- und Tiefbau weit verbreitet sind. Außer über 1500 Meter. Da ist dann endlich Platz. Die Geburtsstunde des Stubnblues war, als wir am Stubner Kogel in einer Selbstversorgerhütte eingeschneit waren. Da haben wir zwei, drei Tage lang ein paar hundert Lieder gespielt. Erster öffentlicher Auftritt war dann in Südtirol im Hochpußtatal. Da haben wir gesungen, was uns freute. Dieser Spirit soll bleiben. Aufgrund meines Alters war da keine Angst, dass wir nicht ankommen könnten. Ich bin eh schon genug angekommen, eigentlich könnte ich schon Ruhe geben. Kann ich aber nicht. Ich bin auch nicht böse, wenn wir ein wenig herumgrundeln, weil die Jüngeren auch Chancen haben müssen. Aber was passiert? Es geht uns immer besser. Je weniger Ansprüche man an Airplay oder sonstige Berücksichtigung stellt, umso mehr bekommt man's gratis. Ist halt so.

Was halten Sie vom heutigen Format-Radio?

Resetarits: Das ist eine Maschine, die angeblich umfragegesteuert ist. Nur, ich glaub das nicht. Wer macht diese Umfragen? Wer zahlt die? Wo sind diese Leute? Dem nachzugehen wäre wohl Stoff für einen Musikkrimi, wo dann die Leute umgebracht werden, die zu nahe an das Geheimnis kommen...

Wie fallen denn die Entscheidungen beim Stubnblues?

Resetarits: Viele Bauchentscheidungen. Ich lass alles zu. Wenn jemand etwas bringt, dann freu ich mich. Wir haben eine Anarchie mit einem starken Anarchen an der Spitze. Wir reden alle durcheinander, aber ich darf ein bisserl mehr reden. Trotzdem trägt alles meine Handschrift. Starkes Nachdenken führt nicht selten stark in die Irre. Wenn man hingegen absichtslos blödelt, entstehen viele neue Lieder. Begeisterung ist die Basis unseres Schaffens.

War es nicht ein Wagnis, Texte von H.C.Artmann zu singen – schließlich hat Helmut Qualtinger die Latte da sehr hoch gelegt?

Resetarits: Qualtinger war was ganz anderes. Die erste Welle der Dialektgedichte hat ihre Sensation mit dem Tabubruch gehabt: Hausmeister mit abgeschnittenen Füßen, verschimmelte Fußprothesen, allerlei Lustmörder... Das hat sich merkwürdig abgenützt. Wir kommen jetzt auf die feine, die zarte Seele, die große Sehnsucht Artmanns. Bei seinen Mundartgedichten liest du eines und hast sofort eine Melodie im Kopf.

Ihr Faible für Artmann gipfelte einst in einer persönlichen Kollaboration...

Resetarits: Wir haben mit dem H.C. ein legendäres Adventsingen gemacht... Aber ich red nicht gern über so was, möchte niemandem erzählen, dass ich mit dem Artmann schon über die Planken geschissen habe. Das ist doch peinlich. Ich möchte ihn und seine Kunst so behandeln, als ob ich ihn nie getroffen hätte. Das ist entsetzlich, wenn jemand seine Autorität als Vortragender mit seiner innigen Blutsbrüderschaft mit dem Verstorbenen begründen will. Wenn die Texte gut sind, sind sie gut, unabhängig davon, ob ich mit dem Artmann auch Getränke genommen habe.

Warum haben Sie sich von den großen Plattenfirmen abgewandt?

Resetarits: Ich hatte schon mit den Schmetterlingen eine eigene Plattenfirma, die Extraplatte. Wir haben damals, als man den Begriff Independent Label noch gar nicht kannte, von der antikapitalistischen Position aus, sehr viel gegründet: Vertrieb, Tonstudio in Bisamberg. Das hat eine Weile gut funktioniert. Jetzt machen wir es wieder so. Wir verkaufen bei unseren Konzerten und verdienen das Sechsfache von dem, was wir bei einem Majorlabel bekommen würden. Beim Stubnblues hab ich richtig eingeschätzt, dass wir so um die 5000 Alben verkaufen. Dafür muss nicht das große Getriebe knirschen.

Mit den Schmetterlingen haben Sie in den Siebzigerjahren u.a. die „Proletenpassion“ von Heinz R.Unger interpretiert. Wie sehen Sie den Status des Proletariers heute?

Resetarits: Die Proletenpassion war sehr stark ein Kind der Siebzigerjahre. Aus heutiger Sicht betrachtet, haben wir das Proletariat in einer Weise gezeichnet, wie es damals schon nicht stimmig war. Tatsache ist, dass das Proletariat in seiner klassischen Form bei uns mehr oder weniger verschwunden ist. Die Form von Proletariat, von der Marx gesagt hat, dass es nichts zu verlieren habe als seine Ketten – die gibt es bei uns nicht mehr. Bei uns hat doch jeder ein kleines Häuserl oder ein Auto. Allerdings gibt es das klassische Proletariat noch in weiten Teilen der Welt. Dort leben diese Ideen noch.

Doch in letzter Zeit verliert er tatsächlich wieder, der kleine Mann: Länger arbeiten für weniger Geld – das ist doch ein Verlust?

Resetarits: Schon, aber... In den Siebzigerjahren habe ich intensiv und gläubig darüber berichtet, was nicht alles den Bach hinuntergehe – heute verfolge ich mit immer weniger Interesse, wie andere Generationen berichten, dass alles den Bach hinuntergehe. Die Waldsterben-Geschichte ist mir eine gute Lehre. Nachdem das alles nicht so eintraf, wie es prognostiziert wurde, bin ich nachdenklich geworden. Ich sitze in einem der reichsten Länder der Welt, verfolge Berichte, wie alles immer g'schissener wird, aber wenn du dir dann einen Dekadenrückblick ansiehst, ist schon wieder alles um ein Eck besser geworden. Okay, ich erzähl das auch immer, die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer und und und. Aber ehrlich: War die Gesellschaft in den Siebzigerjahren reicher oder heute? Ich glaube, heute.

Was sind Ihre derzeit dringendsten Ziele mit dem Integrationshaus?

Resetarits: Ich hab mich etwas zurückgenommen, konzentriere mich auf Fundraising. Unser Hauptanliegen ist die Reparatur des Fremdengesetzes von 1.Jänner2006. Des is so a Schas, dass sogar die Wirtschaftskammer der ÖVP dagegen ist.

Wie geht es mit dem Älterwerden?

Resetarits:Harmoniesüchtig war ich immer schon. In meinen jungen Jahren so, dass ich teilweise radikaler war als die anderen, weil ich mich für meine Sehnsucht nach harmonischen Verhältnissen geniert habe. Das durfte man damals nicht zulassen. Jetzt, nach den Jahren als Ostbahn-Kurti, der ja mein Rock'n'Roll-Heart erlöst hat, wird es ruhiger. Als Kurti erlebte ich alles: Ich war besoffen auf der Bühne, wir haben so laut gespielt, dass ich dank Karl Ritter einen Gehörschaden habe, der sich gewaschen hat. Ich hab alles gehabt. Ich brauch es nicht mehr. Jetzt darf ich auch mit einem Streichquartett musizieren. Das entspricht meinem Alter. Wenn man schwerhörig ist, heißt das nicht, dass man nicht empfindlich ist. In Würde auf der Bühne altern, den Sitztanz pflegen... – ich orientiere mich da ganz an Willie Nelson.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2007)


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