G8: Wessen Freiheit? Wessen Gewalt?

Der Markt bewirkt keine gerechte Verteilung an Lebenschancen.

Das Papier der deutschen G8-Präsidentschaft zitiert Benjamin Franklin: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“ Daher ist die weitere Liberalisierung der Märkte das erklärte Ziel der G8 – auch wenn die Themen „Klimawandel“ und „Verantwortung in Afrika“ suggerieren, dass in den Industrieländern ein Umdenken erfolge. Aber wohin bringt uns Freiheit ohne Sicherheit? Endet nicht die Freiheit eines Menschen dort, wo sie die Freiheit anderer Menschen einschränkt? Warum verbarrikadiert sich die freiheitsliebende Wirtschafts- und Politikelite regelmäßig hinter hohen Mauern und Stacheldrahtzäunen, wenn sie sich trifft, um über die weitere Befreiung der Welt von protektionistischen Fesseln zu sprechen? Von wessen Freiheit ist hier eigentlich die Rede?

Die Freiheit, die hier propagiert wird, ist die Freiheit der Unternehmen, neue Exportmärkte zu erschließen, die Freiheit großer Konzerne, die Kontrolle über Saatgut, Medikamente oder Stromversorgung auf der ganzen Welt zu beanspruchen, die Freiheit der Investoren, ihr Geld ohne Verpflichtungen überall anlegen und auch ohne Skrupel wieder abziehen zu können, wenn der Gewinn ausreichend erscheint.

Wo bleibt die Freiheit aller Menschen, sich selbst mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen, die Reisefreiheit für die Menschen im Süden, die Freiheit von Krieg und Gewalt? Die Freiheit aller, ihre Fähigkeiten voll zu entwickeln, und das Recht zu gesellschaftlicher Teilhabe? Diese Freiheiten sind mit Hilfe der Marktliberalisierung nicht zu gewinnen. Sie können nur erreicht werden, wenn die Freiheit der Reichen und Mächtigen entsprechend eingeschränkt wird, wenn auch Schutzmaßnahmen für die Ärmeren und Schwächeren erlaubt sind. Der Markt bewirkt keine gerechte Verteilung von Ressourcen und Gütern, noch viel weniger bewirkt er eine gerechte Verteilung an Lebenschancen. Das ist Aufgabe der Politik, und wenn sie sich dieser Aufgabe stellen würde, bräuchte es keine Mauern und Zäune.

Solange sie das nicht tut, müssen Menschen, die sich für eine friedliche, solidarische Welt einsetzen, ihr Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit nutzen, um die Interessen derer zu vertreten, die mit Stacheldraht ausgesperrt werden – und das ist die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung im Norden und im Süden.

Freiheit heißt auch Wahlfreiheit

Werden die Anliegen der G8-GegnerInnen auf Gewalt- und Sicherheitsaspekte reduziert, während die G8-VertreterInnen und die sie beratenden Konzernbosse als Retter der Welt auftreten, wird mit zweierlei Maßstab gemessen. Die – strukturelle – Gewalt der G8 gegenüber Umwelt und Entwicklungsländern sollte nicht unter den Tisch gekehrt werden. Die Ideen für eine andere Welt, die beim Alternativ-Gipfel diskutiert werden, sollten nicht ungehört bleiben, weil für Medien nur brennende Autos und zerbrochene Fensterscheiben interessant sind. Freiheit heißt auch Wahlfreiheit – es gibt nicht nur eine Möglichkeit, Gesellschaft und Wirtschaft zu organisieren, es gibt viele Alternativen, und es wird Zeit, sich darauf zu besinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2007)

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