Soll das Werk den Meister loben?

Die Koalition ist auf der Linie des geringsten Widerstandes gezimmert worden und ist ein Produkt jener Halbheit, die ein allgemein österreichisches Laster ist.

Bundespräsident Heinz Fischer hat am Zustandekommen der Koalition, die gegenwärtig mehr schlecht als recht regiert, ein gerüttelt Maß an Verantwortung, die man auch als Schuld bezeichnen kann, wenn man der schwarz-roten Zwangsehe, die Fischer wie ein wohlmeinender Sultan gestiftet hat, kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Es hätte andere Lösungen gegeben, die allerdings Mut und Fantasie seitens aller Beteiligten erfordert hätten, Eigenschaften, mit denen Fischer nicht gerade gesegnet ist, wenn er auch andere tugendhafte wie Klugheit und Mäßigkeit in reichem Maße besitzt.

Unsere Koalition ist auf der Linie des geringsten Widerstandes gezimmert worden und ist ein Produkt jener Halbheit, die ein allgemein österreichisches und ein typisch austromarxistisches Laster ist. Wenn man Schillers Lied von der Glocke als Metapher heranzieht, kann man nicht allen Ernstes von einer Regierung „fest gemauert in der Erden“ sprechen, die „das Werk des Meisters“ loben kann, noch kann man guten Gewissens sagen, dass der Segen „von oben kommt“, wenn auch das Wohlgefallen des in der Hofburg Residierenden auf ihr ruht. Diese Schöpfung war und ist nicht gerade ein irdisches Abbild jener Schöpfung, von der der Schöpfer nach Vollendung sagen konnte, dass sie gut und gelungen sei.

Nur labiles Gleichgewicht

Diese Koalition kann des allerhöchsten Segens schon deshalb nicht sicher sein, weil sie nicht auf gegenseitiger Sympathie, ja nicht einmal auf sachlicher Verständigungsbereitschaft beruht, sondern nur als labiles Gleichgewicht und als eine „Koalition der Gehässigen“, als die sie Martina Salomon treffend bezeichnet hat, wahrgenommen wird. Diese Koalition wurde unter der Annahme, dass es keine Alternative zu ihr gäbe, eingerichtet, eine Annahme, die der Demokratie fundamental widerspricht, denn die Demokratie lebt geradezu davon, Alternativen offen zuhalten. Diktaturen sind es, die immer wieder sich selbst als die einzige Möglichkeit und als die Rettung vor dem Chaos darstellen.

Wenn in einer Demokratie nach einer solchen Maxime verfahren wird, gerät sie in bedenkliche Nähe zu einer Mischform von Diktatur und Demokratie, die man getrost als „Demokratur“ etikettieren kann. Wenn dann auch noch ein zeitlich und inhaltlich beschränktes Wahlrecht hinzukommt, das dem Wähler keine echten Entscheidungen für Persönlichkeiten unabhängigen Zuschnitts einräumt, ist die Pervertierung der Demokratie geradezu vorprogrammiert.

Wir haben uns nur an diese Minimaldemokratie gewöhnt und merken gar nicht mehr, wie weit sie von einer idealeren Demokratie, die möglich und wünschenswert wäre, entfernt ist. In Deutschland, wo es auch eine große Koalition gibt, in der die dortigen Partner aber mit einem Absprung in eine kleine liebäugeln, hat der Wähler durch eine Zweitstimme wenigstens die Möglichkeit, das Vertrauen zwischen Parteien und Persönlichkeiten zu teilen, die nicht auf einer Linie liegen müssen, und so die Pluralität des politischen Lebens zu fördern. In Österreich ist dem Wähler auch diese Möglichkeit versagt, die Parteien erstellen die Listen, die Mandatare werden über den Kopf der Wähler und an ihnen vorbei auf diese gehievt.

Wenn schon das Werk den Meister nicht loben kann, weil es wenig zu loben gibt, kann der Meister und Schöpfer sich und sein Werk loben und Genugtuung darüber empfinden, dass alles so schief läuft, wie es eben läuft?

Wenn der Meister sich trotz des unwürdigen Schauspiels, das diese Koalition bietet, an ihr erfreut oder wenigstens mit ihr zufrieden ist, so nur aufgrund einer Fähigkeit, die ihn stets ausgezeichnet hat, ja die den Erfolg seiner Laufbahn erst ermöglicht hat: die Fähigkeit, alles Störende auszublenden und sich durch eine rosarot gefärbte Sicht der Wirklichkeit der Illusion hinzugeben, wie weiland Leibniz in der besten möglichen Welt zu leben, hauptsächlich deshalb, weil es einem selbst gut geht und man trotz demonstrierter Leutseligkeit abgehoben lebt und wirkt.

Als Spitze der politischen Klasse teilt und potenziert das Staatsoberhaupt deren mangelnde Sensibilität gegenüber selbst verursachten Defiziten der Demokratie. Da die öffentliche Meinung als kontrollierender Faktor in Österreich auf Grund der engen Verflechtung auch der Meinungsbildner mit den politisch Herrschenden schwach entwickelt ist, haben diese den Widerstand gegen Pläne der Aushöhlung der Demokratie, wie sie erst kürzlich in Form der Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre Gestalt angenommen hat, nur in seltenen Fällen, zu denen das Rundfunkvolksbegehren 1964 gehört, das tatsächlich umgesetzt wurde, zu fürchten. Die Deformation der politischen Klasse kommt ihr oft gar nicht zum Bewusstsein, diese Bewusstseinsbildung wird aber nicht durch gezielte Gegenmaßnahmen gefördert, sondern versäumt und verdrängt.

Vertrauen wird untergraben

Man sollte diese Situation nicht dramatisieren und die großen Wohltaten der Demokratie auch unserer Prägung nicht verkennen, sie aber auch nicht bagatellisieren. Der große Bruno Kreisky hat schon gewusst, warum er vor einer großen Koalition gewarnt hat: weil sie durch unvermeidliche Begleiterscheinungen ihres Wirkens das Vertrauen in die Verlässlichkeit des demokratischen Systems untergräbt und auf längere Sicht, wie uns die Erfahrung gelehrt hat, das Aufkommen demagogischer Kräfte begünstigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2007)

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