Junges Holz und arme Kunst

Ein Querkopf, der Architekturgeschichte geschrieben – und nie das Originelle und Authentische aus den Augen verloren hat. Johann Georg Gsteu zum 80. Geburtstag.

Unheimlich wird einem schon, wenn man sich folgendes Bild vergegenwärtigt: Nachkriegszeit, ein Klassenzimmer in der Salzburger Staatsgewerbeschule, und in einer Reihe sitzen Friedrich Achleitner, Wilhelm Holzbauer, Johann Georg Gsteu und Hans Puchhammer, ein paar Reihen weiter vorne Friedrich Kurrent. Und alle gehen nach Wien – Puchhammer an die Technik, die anderen zu Holzmeister an die Akademie –, und alle werden Architekten. Irgendwie muss in diesem Klassenzimmer ein Rumpelstilzchen seinen magischen Moment ausgelebt haben. Das Ergebnis ist jedenfalls österreichische Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und Johann Georg Gsteu hat sie mitgetragen, mitentwickelt, mitbefördert. Er feiert kommende Woche seinen 80. Geburtstag.

Gsteu gehört zu einer Generation von Architekten, die mit Aufträgen nicht reich beschenkt wurde. Sein Werk ist relativ klein. Aber das gilt, mit Ausnahme von Wilhelm Holzbauer und Gustav Peichl in Wien und von Josef Lackner in Tirol, für die Mehrzahl der „Ambitionierten“ dieser Altersklasse. Es war eben noch nicht die Zeit des organisierten Wettbewerbswesens. Noch nicht die Zeit der versuchsweisen Demokratisierung von Auftragsvergaben.

Obendrein war Gsteu ein Querkopf, der Aufträge, Programme auf ihre Sinnhaftigkeit befragt hat und bei der Umsetzung die Originalität, die Authentizität eines Projekts nie aus den Augen verlor. Die noch nicht da gewesene materielle, technologische, konstruktive Lösung – auch um den Preis eines gelegentlich gewöhnungsbedürftigen formalen Ergebnisses – war seine Sache. Architektur als Denk- und Erfindungsprozess, als Prototyp. Und da kam es nicht auf die Größenordnung einer Aufgabe an, da ging es um die Substanz einer Idee.

Die Büroanfänge, gemeinsam mit Friedrich Achleitner, der sich nach einem ersten realisierten Werk allerdings gleich in die Gefilde der Sprache abgesetzt hat, sind heute schon Legende. Immerhin, die „Ausräumung“der Rosenkranzkirche, ihre innere Bereinigung, die auch so manchen Kirchendiener wieder den substanziellen Gehalt eines sakralen Raums erkennen ließ, wurde zum Merkstein. Auf dem Gebiet der Sakralarchitektur konnte Gsteu noch zweimal nachhaltig tätig werden: Gemeinsam mit den „Dreiviertlern“(Kurrent, Spalt) in Steyr-Ennsleiten und bei seiner Anlage in Baumgarten, die wohl bis heute einen Höhepunkt in seiner Arbeit darstellt. Man schrieb die Sechzigerjahre, und die Seminare von Konrad Wachsmann in Salzburg waren nicht fern. Und das spürt man. Industrielles Bauen, Module, die sich reihen lassen und doch eine (angeblich preisgünstige) räumliche Vielfalt ergeben, strukturelles Denken – die Prämissen sind Legion, an denen sich die jungen, aufmüpfigen Geister damals aufgerieben – und die träge Volksmeinung zerrieben haben.

Beim Seelsorgezentrum Baumgarten war das allerdings anders. Da konnte Gsteu tatsächlich viel von dem umsetzen, was damals in den Köpfen der jungen Architekten für Unruhe sorgte. Seine ursprüngliche Entwurfsidee eines quadratischen Kirchengrundrisses mit zwei hohen und zwei halbhohen Raumeinheiten ging zwar nicht auf, die einheitlich hohe Kirchenhalle ist aber bis heute ein bleibender Eindruck. Ebenso die stringente Gliederung der Außenanlage mit Pfarrhof,Sakristei, Pfarrsaal und Glockenträger. Die Kirche ist ein Meisterwerk in Bezug auf die Präzision des Entwurfs. Alle Details stimmen, ohne mit allzu vielen Bedeutungen überfrachtet zu sein. Diese Selbstverständlichkeit in der Komplexität des Angedachten wird Gsteu nur selten übertreffen können.

Es war eine schwierige Zeit. Gsteu hat sehrbescheidene Bauaufgaben gelöst. Wenn mansich die Bildhauerunterkünfte in St. Margarethen ansieht, die ja eigentlich nur ein Um- und Ausbau sind, dann weiß man aber gleich,was er immer gekonnt hat: die Bedingungen eines Ortes verstehen und ganz sensibel darauf reagieren, egal ob sie nun im innerstädtischen Gründerzeitviertel oder im Steinbruch liegen. Und noch etwas konnte er immer: eine Art mönchische, archaische, gleichzeitig sinnliche Raumqualität schaffen.

Die wurde aber nicht immer und zu allen Zeiten von jedermann verstanden. Die mönchische Lösung, die hat er zwar auch mit den Druckrohren in seinem Gemeindebau realisiert. Na ja, und stützenfreie Erker sind dabei ja auch wirklich zustande gekommen, obwohl es ursprünglich ein Erkerverbot gab; und die Röhren können tatsächlich alles Mögliche – vom Liegeplatz über das Blumenfenster bis zum Terrarium sind zahlreiche Nutzungen denkbar. Auch lösen sie den Anspruch der preisgünstigen industriellen Fertigung ein. Trotzdem hat nie jemand diese Idee aufgegriffen, weitergeführt. Die Röhren mögen originell sein – als schön werden sie von den wenigsten empfunden.

Der Gemeindebau war übrigens schon das zweite Anwendungsbeispiel für Gsteus Idee mit den Druckrohren. Erstmals kamen sie in einer Bankfiliale zum Einsatz, wo er auch ein ganz spezielles Tor geschaffen hat. Es wiegt gewissermaßen Tonnen – und ist doch so ausgetüftelt gelagert, dass man es mit einer Hand bewegen kann.

Gsteu hat oft eigenständige Ideen entwickelt, die er dann bei verschiedenen Anwendungen durchgetestet hat. In seinen neueren Arbeiten war das ein Verfahren, mit dem man Aluminium-Trapezblech verformen kann. Er hat es sowohl bei seinen U-Bahn-Bauten als auch beim Nordbrücken-Steg und einem Kindergarten angewendet. Vor allem bei den Verkehrsbauten hat sich die Technologie als herausragend erwiesen, weilMaterialqualität, Verarbeitungsweise und visuelle Erscheinung dabei eine glückliche Symbiose eingehen.

Aber gerade was die Verkehrsbauten betrifft, hat die Sache auch ihren Pferdefuß. Es waren, vereinfacht gesagt, halt immer alle anderen beauftragt, nur nicht Johann Georg Gsteu. Er kam immer erst dann dazu, wenn irgendwem in irgendeiner Magistratsabteilung aufgefallen ist, dass die, die den Auftraghatten, nicht gut genug dafür waren. Und das hat ihn einmal auch fast in den Bankrott getrieben. Er redet nicht viel darüber. Aber es kann einem schon bitter aufstoßen, wie dieses „andere“ Wien mit seinen verdienstvollen Söhnen umgeht. Andererseits: Kassel war auch nicht viel besser. Gsteu hat an der Gesamthochschule zwar zehn Jahre unterrichtet, gebaut hat er dort aber nie.

Nur ein wunderschönes Projekt gibt es von ihm, gedacht als temporäre Installation während der Documenta. Beuys hat seine Bäume gepflanzt, junges Holz, gewachsen auf sicher nicht ganz ungeschädigtem Boden, Gsteu hat beschädigte Bäume genommen und eine temporäre Brückenkonstruktion vorgeschlagen. Sozusagen ein „armes“ Projekt, „arme“ Kunst, die schon damals zukunftweisend war. Was hätte auch besser zu Gsteu gepasst? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2007)

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