Spöttischer Blick von oben

Edward St Aubyns Roman über dünkelhafte Oberflächlichkeit und das Pochen auf Vorrechte des britischen Hochadels.

Was unterscheidet typisch britischen Humor vom üblichen österreichischen Schmäh? Dieser ist oft eine Reaktion von unten nach oben, die Antwort der Erniedrigten und Beleidigten auf die Zumutungen der Mächtigen; während sich im englischen Witz oft ein souveränes Upperclass-Gefühl über die billigen Nöte des Fußvolks ausspricht. Jener ist subversiver, dieser ist überlegener, verdankt er sich doch einer zumindest aristokratischen Haltung. Edward St Aubyn, 1960 geborener Autor von bereits sechs Romanen und Spross des englischen Hochadels, richtet im Roman „Schöne Verhältnisse“ diese treffsichere und durchschlagskräftige Waffe des britischen Humors gegen seine eigene Klasse. Ein interessantes, ja mitunter sogar grausames Duell, bei dem die Fassaden der Protagonisten durchlöchert werden, um ein Dahinter preiszugeben, das meist nichts als artifizielle Leere enthält. Sportsman jedoch bleibt Aubyn dabei allemal, schlägt er doch mit blendendem Stil und scharfem Witz seine Klasse mit ihren eigenen Mitteln.

Drei Paare und ein Kind sind es, die Aubyn uns in einer locker hingeworfenen Versuchsanordnung an einem schönen Tag in der Provence bei Lacoste vorführt. Ein Kammerspiel wie auf einer Drehbühne, die uns Einblicke in das Leben der Protagonisten aus verschiedenen Winkeln gewährt. Nur zwei der sieben Personen, die halbwegs mit sich selbst übereinstimmen und nicht unablässig damit beschäftigt sind, ihr Alter Ego zu unterdrücken oder aufzupolieren: Patrick, der fünfjährige Sohn von David Melrose (Arzt und gescheiterter Pianist, der über fünf Jahrhunderte hinweg von einer Prostituierten und Charles II. abstammt). Und Bridget, das Liebchen seines Freundes und Speichelleckers Nicolas Pratt (ein adeliger Expolitiker, dessen Karriere früh einem Sexskandal zum Opfer fiel). Wie seine Frau Eleanor, eine steinreiche Alkohol- und Tablettensüchtige, quält David auch den eigenen Sohn und im Übrigen alle, die ihm irgendwie nahe kommen. Auch wenn David es nicht wahrhaben will, letztlich übt er doch nur Vergeltung für die Kälte seines Vaters, die er, selbst Opfer, gut heißt und an Patrick weiter gibt. Manchmal lässt er seinen Sohn kurz an den Ohren baumeln, und einmal vergeht er sich an dem Kind, nachdem er es geschlagen hat, und onaniert auf seinen Hintern. Aber leider, so heißt es: „Nicht mal an der Bar des Cavalry and Guards Club konnte man mit homosexuellem, inzestuösem Kindesmissbrauch prahlen und auf ein geneigtes Publikum hoffen.“ Seine Frau wird öfters genötigt, vor ihm zu kriechen und ohne Zuhilfenahme der Hände vom Boden zu essen. Dann sind da noch Victor und Anne: er ein Philosophieprofessor jüdisch-österreichischer Herkunft, der sich selbst verleugnet, um dazu zu gehören und mit dem Zynismus der englischen Oberschichtungeheuer mithalten zu können, und sie eine allzu optimistische Amerikanerin, die von moralischen Anwandlungen heimgesucht wird.

Falls Adel einmal wirklich zu etwas verpflichtet hat, diese ihr Kapital und die Reste ihrer Tradition aufbrauchenden aristokratischen Überbleibsel pflegen nur noch Meriten, abgestandene Vorrechte und ein Bild von sich selbst, von dem längst schon so viel Farbe abgeblättert ist, dass es sich wohl kaum mehr restaurieren lässt. „Verachten Sie Menschen aus der Mittelschicht?“, fragt Anne, worauf Nicholas antwortet: „Ich verachte nicht die Leute aus der Mittelschicht, im Gegenteil, je gründlicher sie aus ihr heraus sind, umso besser. Die Leute in der Mittelschicht sind mir zuwider.“

Mitte der Neunzigerjahre hat Jonathan Coe in „Allein mit Shirley“ der Verfassung des englischen Adels der Thatcher-Ära eine so großartige wie vernichtende Diagnose gestellt. Edward St Aubyn nun zeigt uns hier, dass es noch schlimmer kommen konnte. Bei aller scheinbaren Souveränität leiden diese Leute an der Welt und am Leben wie an einer Erbkrankheit, von der sie sich mit Arroganz, Oberflächlichkeit und Dünkelhaftigkeit kurieren möchten. Das Recht, einen verständnisvollen Blick wie den Prousts zu provozieren, haben sie längst verspielt. Somit ist dieser Roman auch die Antwort der Zeit auf den unverzeihlichen Fehler, die Zeichen der Zeit zu ignorieren: ein mutiges und beeindruckendes Buch! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2007)


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