Der Einbruch des Mittelmeers ins Schwarze Meer ist strittig, der eines Sees in den Atlantik auch.
Alle Brunnen der Tiefe brachen auf“, erzählt die tausend Jahre vor Christus geschriebene Genesis (7,11), „und die Schleusen des Himmels öffneten sich.“ „Mit der Gewalt von 200 Niagarafällen schoss das Wasser vom Mittelmeer ins Schwarze Meer“, setzten 1997 die Ozeanografen William Ryan und Walter Pitman fort. Sie vermuteten, dass sich vor 8000 Jahren eine Flut ihren Weg durch den trockenen Bosporus bahnte: An dessen Nordende war das heutige Schwarze Meer damals ein See, dessen Spiegel 150 Meter unter dem des Mittelmeeres lag. Als das stieg und stieg – in der letzten Eiszeit lagen die Meeresspiegel 120 Meter tiefer als heute –, hielt der Bosporus nicht mehr stand.
In einer ganz anderen Region gab es ungefähr zur gleichen Zeit ein ähnliches Szenario, im Norden Amerikas. Dort bildete sich am Ende der Eiszeit ein gigantischer Schmelzwasser-See, Lake Agassiz, die heutigen Großen Seen sind eine schwache Erinnerung an ihn. Er war von Eisdämmen eingeschlossen, vor 8200 Jahren brachen sie – und die Flut, so eine alte Hypothese, wandte sich nach Osten, in den Nordatlantik. Zugleich wurde es in Europa kühler, obwohl die Eiszeit zu Ende war.
Wärmetransport rund um die Erde
Das erklärt man bisher eben mit dem Ausbruch des Lake Agassiz: Im Nordatlantik beginnen die Meeresströmungen, die Wärme rund um die Erde transportieren („conveyor belt“). Im Nordatlantik sinkt Oberflächenwasser hinab, es kommt an der Oberfläche als Golfstrom zurück und wärmt Europa. Absinken kann es nur, wenn es dicht ist, und dicht ist es nur, wenn es salzhaltig ist. Kommt Schmelzwasser – vom Lake Agassiz oder heute vom Klimawandel –, sinkt es nicht, der „conveyor belt“ bricht ab, der Golfstrom auch, in Europa wird es kühler.
Aber war es wirklich so? Beide Hypothesen sind umstritten, gegen die von der Sintflut ist gerade eine ganze Papierflut erschienen, 15 Fachartikel in Quaterny International und 35 in einem Buch („The Black Sea Flood Question“, Springer). Es sei alles „ein Mythos“, fasst Valentina Yanko-Hobach, Mitherausgeberin des Buchs zusammen, der Wasserspiegel des Schwarzen Meers sei nie so tief gelegen und nie rasch gestiegen, nur graduell. Und: Vor 10.000 Jahren, als laut Ryan/Pitman der Bosporus trocken lag, floss laut Richard Hiscott (Memorial University of New Foundland) sehr wohl Wasser in großen Mengen – in umgekehrter Richtung, vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer.
Ryan/Pitmas bleiben bei ihrer Hypothese und wollen bald neue Belege publizieren (Science, 317, S.886). Sei's drum,der Streit mag Gläubige beunruhigen, die die Bibel wörtlich nehmen (die Zahl 8000 passt von der Größenordnung gut zu ihren Berechnungen des Zeitpunkts der Sintflut). Ein anderer hingegen trifft mitten in die zentrale Erregung der Gegenwart, den Klimawandel und seine Folgen bzw. eine davon: mehr Schmelzwasser im Atlantik.
Denn auch die Hypothese vom der Abkühlung durch den Lake Agassiz ist umstritten: Vermutlich ist sein Wasser nicht nach Osten in den Atlantik geschossen – sondern nach Süden entlang dem Mississippi –, man hat an der Ostküste noch nie Flusstäler gefunden. Und jetzt zeigen auch Sedimentanalysen keine Spuren eines Agassiz-Flusses, wohl aber die einer Meeresspiegel-Erhöhung (Geophysical Research Letters. 2.8.).
Das Wasser muss anderswo hergekommen sein. Fällt damit auch die Hypothese vom Abreißen des „conveyor belt“ und der auch uns drohenden Abkühlung? Nein, und die Drohung wurde 2005 auf die Seiten von Nature gemalt (438, S.665): Der Golfstrom habe in den letzen 50 Jahren ein Fünftel seiner Kraft eingebüßt. Allerdings stützte sich der Befund auf ganze fünf Messungen. Nun hat eine Gruppe um Stuart Cunningham (Southampton) erstmals den Golfstrom systematisch gemessen, ein Jahr lang: Er schwankt über das Jahr hin um mehr als ein Fünftel, es gibt eine natürliche Oszillation (Science, 317, S.893). Das sagt nichts über die langfristige Entwicklung, aber um sie zu messen, muss man die Oszillation kennen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2007)