Gül dürfte Sprachrohr von Premier Erdogan bleiben.
ISTANBUL (keet). Abdullah Gül ist ein seltener politischer Vollprofi. Er weiß, worüber er mit wem reden kann, und auf welches Thema er einen Deckel tun muss. Dabei hat der vor Energie sprühende, kugelige 57-Jährige nie selbst an der Spitze einer politischen Bewegung gestanden. Sei es wegen seiner für einen Redner wenig geeigneten Stimme, oder weil er für die Rolle im zweiten Glied besser geeignet ist: Gül stand immer hinter anderen, vor allem hinter dem jetzigen Premier Recep Tayyip Erdogan. Daran dürfte sich wenig ändern: Auch als Präsident dürfte Gül primär jene Politik vermitteln, die Erdogan macht.
Mit 19 kam der 1950 in Kayseri geborene Gül erstmals nach Ankara und Istanbul. Er studierte Ökonomie und wurde Dozent. In den Jahren der Konflikte zwischen Linken und Rechten an den Unis wurde er von Linken als „Faschist“ beschimpft. Gegen ihn wurden Plakate aufgehängt. Doch er machte weiter und dissertierte zum Thema „Islam und Entwicklung“; damals lebte er auch zwei Jahre in London.
Kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag heiratete er die 15-jährige Hayrünnisa Öztürk. Drei Jahre später zogen beide für acht Jahre in die saudische Hauptstadt Riad, wo Gül für eine Bank arbeitete.
1991 kam Gül für Necmettin Erbakans islamistische „Wohlfahrtspartei“ ins Parlament. Unter der kurzlebigen Koalition Erbakan/Çiller war Gül Regierungssprecher. Doch Erbakan verstand es nicht, den radikalen Flügel der Islamisten zu zügeln. Auf Druck des Militärs wurde die Wohlfahrtspartei 1998 verboten, und ein paar Jahre später ihr Nachfolger, die „Tugendpartei“.
Doch noch vor Ende der Tugendpartei trug sich etwas in der Geschichte der Türkei Seltenes zu: Ein Parteiführer – der islamistische Hero Erbakan – wurde herausgefordert und konnte die Wahl nur knapp gewinnen. Sein Gegner war Gül – doch hinter ihm stand der eigentliche Herausforderer Erbakans, Tayyip Erdogan, der wegen einer Haftstrafe nicht antreten konnte. Eine von Erdogan und Gül geführte Gruppe der „Erneuerer“ hatte eingesehen, dass es zwecklos war, wie Erbakan weiter zu wursteln. Mit Islamismus würde das Land nicht reformierbar sein, sondern mit dem Streben in die EU.
Ihre Stunde kam rasch: Als 2001/02 unter Links-Premier Bülent Ecevit die Wirtschaft kollabierte, kamen viele Türken zur Überzeugung, nur die EU könne die Türkei retten. Als Kraft, das zu managen, schien die von Erdogan und Gül gegründete „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP).
Rebellion vor der Universität
In seinen Jobs als Kurzzeit-Premier und Außenminister war Gül stets der beherrschte Typ, der laut werden konnte, aber im Rahmen blieb. Nur ein Mal fiel er aus dieser Rolle: Als Abgeordneter stand er einst mit einem Anwalt vor einer Universität, um die Inskription seiner Frau fürs Fach Arabische Sprache und Literatur zu erzwingen. Sie mussten abziehen, da Hayrünnisa ihr Kopftuch beim Eintritt in das Uni-Gebäude nicht abnehmen wollte. Da soll ihr Mann geflucht und etwas vom „Satan“ geschrien haben.
Jetzt ist die Abgewiesene „First Lady“ der Türkei. Und ihr Kopftuch ist weiter ein Thema.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2007)