Mutter Teresa: „Der Platz Gottes in meiner Seele ist leer gefegt“

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Erschütternde Briefe enthüllen: Die „Heilige von Kalkutta“ durchlitt eine 50 Jahre lange Glaubenskrise.

Das Schweigen und die Leere sind so groß, dass ich schaue und nicht sehe _ lausche und nicht höre..." Stellt man sich so den Zustand einer Heiligen vor? Oder so: "Ich habe keinen Glauben... Wenn ich versuche, meine Gedanken zum Himmel zu wenden, ist da eine solche Leere, dass die Gedanken zurückkommen und wie scharfe Messer in mein Herz schneiden." Oder so: "Seit 49 oder 50 ist er da, dieser schreckliche Verlust, diese unerhörte Dunkelheit um mich... Der Platz Gottes in meiner Seele ist leer gefegt... Da ist kein Himmel in mir."Das leuchtende Lächeln? "Eine Maske"

Diese unbekannte, schockierende Mutter Teresa enthüllt ein der "Presse" vorliegendes Buch, das zu ihrem 10. Todestag am 5. September im US-Verlag Doubleday ("Come Be My Light") erscheint, gleichzeitig im deutschen Pattloch-Verlag unter dem Titel "Komm, sei mein Licht. Die geheimen Aufzeichnungen der Heiligen von Kalkutta". Die Selbstzeugnisse, großteils Briefe an ihre Vorgesetzten und geistlichen Berater, zeichnen ein erschütterndes Bild der Albanerin: Agnes Gonxha Bojaxhiu, 2003 selig gesprochen und auf dem Weg zur Heiligsprechung, hat zwei Drittel ihres Lebens in einer permanenten Glaubenskrise gelebt, verzweifelt, weil sie Gott in ihrem Inneren nicht spürte.

Dieser Zustand begann kurz nachdem sie mit 36 begonnen hatte, ihr Leben den Armen zu widmen (da hatte nach ihren Erzählungen noch Jesus zu ihr gesprochen und ihr aufgetragen, in die Slums zu gehen): Von "Dürre", "Dunkelheit", "Einsamkeit", "Folter" ist die Rede - ja, Mutter Teresa vergleicht ihren Zustand mit der Hölle. Und das leuchtende Lächeln, das die Öffentlichkeit von ihr kennt? "Eine Maske".

Dieser Inhalt war dem US-"Time Magazine" sogar den Bruch der Sperrfrist wert. "Her agony" ("ihre Qualen"), titelt es in der aktuellen Ausgabe und eröffnet damit eine weltweite Diskussion. Sogar Heiligkeits-"Experten" sind erstaunt. "Ich habe nie die Lebensgeschichte einer Heiligen gelesen, wo so eine tiefe spirituelle Dunkelheit herrscht", zitiert das Magazin James Martin, Herausgeber des Jesuiten-Magazins "America".

"Sogar wir, die wir eigentlich zur Familie gehörten, hatten davon keine Ahnung", erzählt auch der Herausgeber des Buchs, der Kanadier Brian Kolodiejchuk, im Gespräch mit der "Presse". "Sie hat Jesus weder in ihrem Herzen noch in der Eucharistie gespürt." Kolodiejchuk gehört dem

Mutter-Teresa-Bruder-Orden an und war einer von Teresas engsten Mitarbeitern. Heute ist er Postulator in ihrem Heiligsprechungsprozess. Mutter Teresa wollte, dass die Briefe vernichtet werden - warum wurden sie dennoch veröffentlicht? "Man ist zum Schluss gekommen, dass sie zu wichtig für die Allgemeinheit sind", sagt Kolodiejchuk. Sie wurden auch schon im Seligsprechungsprozess verwendet.

Die einfachste Erklärung dieser Dauerkrise wäre: Teresa verlor einfach den Glauben. "Sie verlor ihn überhaupt nicht", widerspricht Kolodiejchuk. "Wenn sie gar nicht geglaubt hätte, hätte sie es doch einfach aufgegeben. Sie behielt den Glauben, das war ja die Folter - dass sie zugleich Gott nicht mehr spürte." Ihr Leiden sei nur vor dem Hintergrund ihrer Vergangenheit erklärbar: "Mutter Teresa war eine große Mystikerin. 1946 und 1947 hatte sie eine intensive mystische Vereinigung mit Jesus, und danach hat sie sich später immer vergeblich gesehnt. Sie ist wie eine leidenschaftlich Verliebte, die den Geliebten verloren hat."

"Werde auf ewig dem Himmel fern sein"

Hilfe kam von einem Österreicher: Der Jesuitenpater Josef Neuner überzeugte sie, dass ihr Leiden einen Sinn habe: "Wenn ich jemals eine Heilige werde, dann sicher eine der Dunkelheit. Ich werde auf ewig dem Himmel fern sein - um das Licht für die anzuzünden, die auf der Erde im Dunkeln sind", schreibt sie später. Für Kolodiejchuk wird sie damit zu einer Heiligen der Glaubenszweifler. "Es macht sie noch größer."

Mutter Teresa teilt ihr Schicksal mit anderen Heiligen: "Paul vom Kreuz lebte 45 Jahre in Glaubenszweifeln, die französische Ordensgründerin Jeanne de Chantal litt 40 Jahre lang", erzählt Kolodiejchuk. "Auch Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz kannten dieses Leiden. Und Thérèse von Lisieux sah sich in den letzten 18 Monaten ihres Lebens mit denen, die nicht glauben, an einem Tisch sitzen. Sie sagte, sie verstehe, warum einer ohne Glauben Selbstmord begehen könne. Teresas Krise ist also nicht ganz einzigartig. Einzigartig ist, dass sie auf diese Weise schriftlich und chronologisch bezeugt ist."

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