Kreml setzt die Daumenschrauben an

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Energie. Europa sucht fieberhaft nach Wegen, sich Erdgas aus der Region rund um die Kaspische See zu sichern. Ein Vorhaben, das von Russland nach Kräften hintertrieben wird. Aus guten Gründen.

Baku. Die Erleichterung stand den Damen und Herren der OMV ins Gesicht geschrieben. Am Ende der mühsamen Verhandlungen stand doch noch ein kleiner Erfolg. Am vergangenen Donnerstag wurde mit der Regierung Aserbaidschans am Rande des offiziellen Staatsbesuchs von Wirtschaftsminister Bartenstein ein "Memorandum of Unterstanding" unterzeichnet. Inhalt: Die OMV "darf" künftig Gas aus Aserbaidschan beziehen.

Das hört sich freilich eher nach einer "So-What?"-Meldung an als nach jenem Durchbruch, den die OMV in dieser Absichtserklärung erkennen will. Tatsächlich könnte den Verhandlern aus Wien in Baku einiges gelungen sein. Seit Wochen und Monaten reisen Verhandler aus den Kernländern Europas nach Zentralasien, um den von den Vorzügen der Demokratie nicht wirklich überzeugten Regierungen den Hof zu machen. Besonders gerne angeflogene Ziele sind Kasachstan, Turkmenistan und Aserbaidschan.

Nicht ganz zufällig. Europa hat nämlich ein kleines Problem zu lösen: Internen Schätzungen zufolge wird der Gasverbrauch bis 2020 um knapp ein Drittel oder 200 Mrd. m3 Erdgas steigen.

Europas großes Dilemma

Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Russland könnte das benötigte Gas zwar liefern, kommt aber für weitere Mengen aus strategischen Gründen kaum in Frage. Die Russen kontrollieren über ihr De-Facto-Monopol bereits die Erdgasversorgung Europas. Eine Marktstellung, die von Moskau nicht nur zur Umsetzung außenpolitischer Ziele eingesetzt wird, sondern die Europas Wirtschaft von den Launen des Kreml abhängig macht.

Das Land mit den zweitgrößten Gasreserven der Welt heißt wiederum Iran - auch nicht gerade jener Geschäftspartner, den sich Europa derzeit wünscht.

Um sowohl das energiepolitische Dilemma zu lösen als auch der drohenden Einflussnahme Moskaus zu entgehen, stecken europäische Energiekonzerne geschätzte fünf Mrd. Euro in eine neue Gasleitung mit dem bezeichnenden Namen "Nabucco". Über die Türkei soll Gas aus der Kaspischen Region nach Europa gepumpt werden. Vor allem aus Turkmenistan, dem Land mit den drittgrößten Gasreserven der Welt.

Womit wieder Aserbaidschan ins Spiel kommt: Turkmenisches Erdgas soll über eine eigene Pipeline durch das Kaspische Meer nach Baku geleitet werden, von dort über Georgien in die Türkei gelangen, um schließlich über die Nabucco-Rohre nach Europa geliefert zu werden (siehe Grafik). Weshalb die OMV, die das Nabucco-Konsortium anführt und mit Reinhard Mitschek auch den Geschäftsführer der Gesellschaft stellt, die in Baku unterfertigte Absichtserklärung so hoch einschätzt: Aserbaidschan soll den energiepolitischen Brückenkopf zu Turkmenistan und Kasachstan bilden.

Über den Tisch gezogen?

Kasachisches Erdgas könnte entweder über eine eigene Leitung von Aktau nach Baku oder in verflüssigter Form über den Seeweg gebracht werden. Hinzu kommen geschätzte zehn Milliarden m3 (in etwa der Jahresbedarf von Österreich) aserisches Erdgas, das über die Nabucco-Leitung nach Europa gelangen könnte. Wie wichtig Baku der Nabucco-Führung ist, zeigt allein das Angebot, Aserbaidschan mit zehn Prozent an der gemeinsamen Gesellschaft zu beteiligen.

Weniger toll finden derartige Pläne die Russen: Schafft es Westeuropa tatsächlich, größere Mengen an Erdgas aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zu beziehen, drohte Moskau gleich von zwei Seiten Ungemach. Erstens gingen Russland Marktanteile verloren (und damit politischer Einfluss), zweitens billige Zulieferer. Sowohl kasachisches als auch turkmenisches Erdgas findet derzeit ausschließlich über Russland den Weg nach Europa. Moskau zahlt Turkmenistan für 1000 Kubikmeter Erdgas rund 100 Dollar - und verkauft dieselbe Menge zum nahezu dreifachen Preis in den Westen. So etwas nennt man wohl ein gutes Geschäft - wenn auch nur für eine Seite.

Der Kreml mauert

Weshalb die Russen alles unternehmen, die Turkmenen bei der Stange zu halten und den Europäern den Weg in die Region um die Kaspische See zu versperren. Der Versuch, das georgische Pipeline-System zu kaufen und so Europa von Aserbaidschan abzuschneiden, ist aus Sicht der Nabucco-Betreiber zum Glück gescheitert.

Wesentlich erfolgreicher dürfte der Kreml darin sein, den Turkmenen die Daumenschrauben anzusetzen. Das Druckmittel ist groß. Wenn Moskau kurzerhand die Pipelines zudreht, können sich die Nachfolger des Turkmenbaschi ihr forsches Wirtschaftswachstum aufzeichnen, weil sie den Großteil des geförderten Erdgases fünf Jahre lang in die Luft blasen müssen. So lange dauert es nämlich, neue Leitungen in den Westen zu bauen. Pipelines, deren kostspieligen Bau sich Turkmenistan selbst finanzieren müsste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2007)

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