Biografie: Was über Kleiber zu erfahren war

Ein Buch-Projekt ohne Zutun von Kleibers Erben – aus Interviews.

Ein einziges Interview hat er in seinem Leben gegeben, als junger Künstler für eine deutsche Radiostation, die das Band aber gelöscht hat. Ein Faktum, das man dem neuen Buch entnehmen kann, das Carlos Kleiber gewidmet ist. Oder besser: dem Faszinosum Kleiber, denn um eine Biografie zu schreiben, bedürfte es anderer Quellen als sie dem Autor Alexander Werner zur Verfügung standen. Dem Nachwort entnimmt der Leser, dass die Kinder des Dirigenten den Zugriff aufs Familienarchiv verwehrten. Carlos Kleiber wollte schließlich lebenslang nichts über sich preisgeben. Gern hätten seine Verehrer mehr über den charismatischen Mann gewusst, der als Sohn eines bedeutenden Dirigenten in dessen Fußstapfen trat – doch schon die Frage, wie sich Erich und Carlos Kleiber in Sachen Künstlertum verstanden – oder eben nicht –, bleibt für den Leser im Dunkeln. Des Autors Interview-Partner (aus dem engsten Familienkreis nur Kleibers Schwester) waren nicht sonderlich ergiebig.

Auch dort, wo mit Gerüchten aufgeräumt werden soll – etwa dem, dass Carlos Kleiber nicht Erichs, sondern Alban Bergs Sohn gewesen sein könnte – stehen problematischen Behauptungen und Vermutungen wieder nur Behauptungen und Vermutungen entgegen. Über viele Seiten liest sich das dickleibige Werk wie ins Gigantische aufgeblasene Fan-Post. Musikfreunde schwärmen über Kleiber, Sänger schwärmen über Kleiber – nur Orchestermusiker melden hie und da Skepsis an und wissen auch zu erzählen, wie beleidigend der Dirigent manchmal werden konnte.

Aller Tratsch auf einen Blick

Wer freilich alle Gerüchte und Hintergrundmeldungen über die vielen Skandale und Skandälchen, veröffentlichte und nicht veröffentlichte Aufnahmen, Absagen und sonstige Capricen eines Künstlers gesammelt lesen möchte, wird an dem Buch seine Freude haben. Nicht nur vor den Wiener Philharmonikern ist Kleiber schließlich das eine oder andere Mal davon gelaufen. Wenn er aber auftrat, dann – kein Wort strapaziert Werner öfter als „Triumph“ – waren sich alle einig: Er ist der Größte. Warum, bleibt auch nach der Lektüre rätselhaft. Eine grundlegende musikalisch-künstlerische Wertung steht ebenso aus wie die wahrhafte, durch Dokumente belegte Vita. sin

Alexander Werner: Carlos Kleiber. Eine Biografie. Schott,/Mainz, 2008 (!), 590 Seiten. Euro 32,95

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2007)

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