DieRepubliken des freien Geistes

Zeitreise durch Wiens Wohnzimmer: Von Arnstein über Zuckerkandl ins Internet.

Wien (uw). Ein lustiger Abend, ein nüchterner Bericht: „Bein Arnstein war vorgestern nach Berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weih- oder Christbaumfest. Es waren dort Staatskanzler Hardenberg, die Staats-Räthe Jordan und Hoffmann. . .“ Penibel listet der Rapport der Metternich'schen Geheimpolizei jeden, der am 27. 12. 1814 in Fanny von Arnsteins Wiener Salon zugegen war, Aktivitäten inklusive.

Sieht so eine „Republik des freien Geistes“ aus? Trotzdem hat der Begriff, der für den Berliner Salon von Rahel Varnhagen geprägt wurde, seine Berechtigung. Gelang doch den halböffentlichen Teegesellschaften (ab 1829 heißen sie „Salon“), was Ende 18., Anfang 19. Jahrhundert kaum möglich schien: Gedankenaustausch über die Grenzen von Klasse, Religion, Geschlecht hinweg, zumindest für einige Stunden und freilich nur (Stichwort: salonfähig) unter Wahrung der Etikette. Wobei Salon im Laufe der Entwicklung nicht gleich Salon war: Probelauf für eine bürgerliche Öffentlichkeit oder „bloß“ Förderung der Künste – alles war möglich.

Mit Charme und Charisma

Die Salon-Pionierinnen hatten Charisma, Verstand, meist Geld: wie die Literatin Karoline Pichler, zu der sogar der „schwierige“ Grillparzer kam. Bei Arnstein traf sich der Wiener Kongress „privat“. Dass die Gastgeber Frauen, oft jüdische, waren, ist kein Zufall. „Beide Gruppen“, so Felicitas Heimann-Jelinek, Chefkuratorin des Wiener Jüdischen Museums, „hatten kein öffentliches Betätigungsfeld.“

Nach der Revolution 1848 erlebte die heterogene Salonkultur mit Wissenschaftlern, Musikern, Literaten einen Einbruch, bis sie die Moderne wieder wachküsste. Vor allem bei Berta Zuckerkandl saß der Zeitgeist auf dem Diwan: Klimt, Schnitzler oder Mahler, der hier seine Frau Alma – später selbst Salondame – kennen lernte. Die Journalistin und Autorin hatte in der Zwischenkriegszeit auch politischen Einfluss. Zu ihr kamen Ignaz Seipel und Julius Tandler, dank bester Kontakte zu Paris wurde sie als Fürsprecherin Österreichs eingesetzt.

Tatsächlich aber verloren die Salons ab 1914 rapide an Bedeutung, nach dem 2. Weltkrieg waren sie tot. Und dann? Udo Prokschs „Club45?“ Bloß eine „Herrenrunde“, sagt die Historikerin Edith Saurer. Die selbst einen Salon mit-leitet, den wissenschaftlichen „Salon21“ – jedoch im Internet. Der Chatroom als neue „Republik des freien Geistes“? „Nun ja“, sagt Saurer, „vielleicht ein bisschen.“ Und ein bisschen gilt dann wohl auch hier: Big Brother is watching you. Noch immer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2008)

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