Aufnahme-Rituale: Misshandlungen mit Tradition

Bis ins 18. Jahrhundert wurden Studenten beim Eintritt in die Universitäten schikaniert. In den USA und manchen Ländern Europas gibt es solche Rituale nach wie vor, wenn man einer Verbindung beitritt.

Die „Deposition“ war wohl einer der seltsamsten akademischen Bräuche. Vom 15. bis ins 18.Jahrhundert musste der Studienanfänger – genannt Beanus vom französischen „bec jaune“, Grünschnabel – diese Art der oftmals brutalen „Jünglingsweihe“ über sich ergehen lassen. Ziel des Rituals war, diesem sein angeblich unakademisches, unzivilisiertes Wesen auszutreiben.

In einer Schrift der Uni Jena aus dem Jahr 1722 heißt es: „So haben die Alten so abenteuerliche Instrumente und Manieren mit Fleiß erfunden, wie denn die Untugend und Laster jederzeit so beschaffen sind, dass sie nicht hässlich genug vorgestellt werden können.“ In der Praxis beschimpften und schmähten die Älteren den Beanus, um ihm seine Minderwertigkeit deutlich zu machen.

Dabei ging es oft ziemlich grob zu, nicht selten wurde die Neulinge schwer verletzt. Deshalb versuchte die Universitätsführung, das Ritual zu unterbinden. Manche Eltern hatten solche Angst um das Wohl ihrer Söhne, dass sie im 16. Jahrhundert damit begannen, diese schon im Kindesalter immatrikulieren zu lassen. 1556 waren etwa in Leipzig von 345 Neueinschreibungen 65 noch Kinder.

Als Reaktion ersetzten die Landsmannschaften Anfang des 17.Jahrhunderts die Deposition durch das Pennaljahr, der Zeitpunkt der Einschreibung war kein Kriterium. In Deutschland und auch Österreich wurden diese Initiationsriten im 18. Jahrhundert abgeschafft, in Frankreich und den Niederlanden blieben sie bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Und sind es manchmal heute noch.


Sex mit Hühnern?

Bei der Beschreibung der Aufnahmerituale kann einem schon anders werden. In holländischen Studentenverbindungen wurden Erstsemester laut Tierschutzbehörde dazu gezwungen, lebende Goldfische zu verschlucken oder sogar Sex mit Hühnern zu haben. „Ontgroening“ – zu deutsch „Entgrünung“ – nennen sie das.

Der Vater eines Erstsemesters schildert in einer holländischen Zeitung die heutigen Methoden eines Corps, dessen Altmitglied er ist: stundenlanges Sitzen im Eiswasser, Aufhängen an den Handgelenken, Schlafentzug. Sein Sohn sei von der Aufnahmewoche „körperlich und seelisch gebrochen“ zurückgekehrt. Das Corps, klagt er, „ist ein Zuchtbecken geworden für Menschen, die sich in Abu Ghraib zu Hause fühlen würden“. Die Verbindungen nennen das natürlich anders: Fördern des Gemeinschaftsgefühls.

Auch in Frankreich gehören solche Schikanen nach wie vor dazu, vor allem an den Unis und den elitären Grandes Écoles. „Bizutage“ heißen sie dort und sind seit den 1920er Jahren offiziell verboten, Mitte der 1990er wurden sie sogar in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Hintergrund: Einige Studienanfänger wurden durch Bizutage in den Selbstmord getrieben.

Ähnliche Rituale gibt es auch in anderen Ländern, die Italiener nennen es „Nonnismo“, die Portugiesen „Praxe“. Die akademischen „Fraternities“ in den USA sind für ihre schikanösen Aufnahmerituale, „Hazing“ genannt, berüchtigt.

Die Anwärter müssen, bevor sie in die Bruderschaft aufgenommen werden, oft über mehrere Monate beweisen, dass sie dieser auch wirklich würdig sind. Das reicht von Botendiensten mitten in der Nacht bis zum aufgezwungenen Komatrinken oder brutaler öffentlicher Entwürdigung. 2006 hat etwa eine Gruppe von Verbindungsbrüdern am Wofford College in South Carolina während eines Footballmatchs auf der Tribüne auf einen Anwärter uriniert. Apropos unwürdig. jule

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2008)


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