„Gespräche der Karmeliter-innen“: Dialoge für die Wahrheit

APA (Herbert Pfarrhofer)
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Theater an der Wien. Sensationell: „Gespräche der Karmeliterinnen“ unter de Billy.

Ein halbes Jahrhundert lang hat man in Wien Poulencs „Gespräche der Karmeliterinnen“ keiner Neuinszenierung für wert befunden. Erstaunlich, denkt man nach dieser, denn die Inszenierung Robert Carsens, schon um die halbe Welt gegangen, entdeckt auch für Wien eines der bedeutendsten Musiktheater-Werke des 20. Jahrhunderts. Freilich bedarf es zu solcher Wertung eines Dirigenten wie Bertrand de Billy. Die Klangerzählung seines Radiosymphonieorchesters, farbenprächtig, rhythmisch brisant artikuliert und von ausdrucksstarker Eloquenz, führt das Publikum mit nie versiegender Intensität durch einen dreistündigen Abend voll Emotionen, dunkler Ahnungen, apokalyptischer Visionen.


Kampf um die menschliche Erhabenheit

Die Geschichte der Nonnen aus Compiègne, die im Gefolge der Revolutionswirren 1794 freiwillig aufs Schafott gingen, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten, ist zur Parabel für den Kampf um Aufrichtigkeit und Wahrheit in Zeiten der Bedrängnis geworden. Gertrud von le Fort hat 1931 zur historischen Begebenheit die Figur der angstgetriebenen Adligen Blanche hinzuerfunden und damit die notwendige Identifikationsfigur für ein anrührendes Drama geschaffen, das Georges Bernanos dann formte. Sein Filmdrehbuch wurde für Francis Poulenc 1953 zum Libretto. Eine Oper ohne Liebesgeschichte ist daraus geworden.

Bemerkenswerter Weise wird auch im paulinischen Sinn nur vom Glauben und der Hoffnung gesprochen, diesen zweien, und man denkt angesichts der Seelenqualen, denen die Karmeliterinnen im Kampf um ihre Überzeugungen ausgesetzt sind, vielleicht an Ernst Jüngers knapp-eindringliche Sentenz: „Auf alle Fälle führt die Hoffnung weiter als die Furcht“. Oder an Stifters „Das Tier hat gefürchtet, der Mensch hat angebetet“.

Die schweren Kämpfe, die auszufechten sind, jene Erhabenheit des Menschen zu erringen, symbolisieren sich im Schicksal der Blanche. Sie geht ins Kloster, um von ihren Angstträumen erlöst zu werden – schließt sich nach einem veritablen Purgatorium aus freien Stücken dem Todesgang ihrer Mitschwestern an.

Nun lässt sich kaum behaupten, das von Jaspers ausgerufene „Zeitalter der Angst“, von W. H. Auden im wahrsten Sinne des Wortes poetisch „verdichtet“, sei nach 1945 irgendwann zu Ende gegangen. Die Reaktion des Publikums auf Poulencs Oper, die dieser Angst Bild und Klang verleiht, beweisen, als wie aktuell solch künstlerischer Befund empfunden wird.

Tatsächlich berührt eine Passage wie die Sterbeszene der Priorin, die Marjana Lipovsek filmreif zu einem Psychothriller ausgestaltet, nicht zuletzt wegen des verzweifelten Nihilismus, den sie den entsetzten jungen Schwestern vor Augen führt. Angesichts des Todes schwindet da jegliche Hoffnung – und doch gelingt es Blanche den Gegenpol zu erreichen, geleitet von der positiven Aura der Lichtgestalt Constance (mit Jubel und inniger Strahlkraft im Sopran von Patricia Petibon), aber auch den starken Charakteren der Mutter Marie (respektgebietend bis in dramatische Ausbrüche: Michelle Breedt) und Madame Lidoine, die Heidi Brunner dank innerer Größe zur charismatischen Führungsfigur wachsen lässt.


Ein Kreuzweg, die Angst zu überwinden

Sally Mathews bringt es zuwege, diese Figur von den hysterischen Angstschreien – jeder Schatten im väterlichen Haus des souveränen Marquis de la Force von Jean-Philippe Lafont wird als Bedrohung empfunden – bis hin zur Läuterung packend zu zeichnen. Der Stationen auf diesem Kreuzweg sind viele, von wütender Auflehnung zu bewundernswerter Beharrungskraft im Dialog mit dem Sicherheit suggerierenden Bruder, dessen vergeblichen Besuch im Kloster Yann Beuron so prägnant gestaltet wie Dietmar Kerschbaum den getriebenen, unter dem Zugriff der (sämtlich untadelig singenden und gestaltenden) Revolutions-Helfer aber pragmatischen Beichtvater.

Eine rundum so stimmige Opernpremiere verzeichnen die Wiener Annalen nicht häufig. In Michael Levines simplem schwarzem Raum, in dem jeweils wenige Versatzstücke das passende Ambiente für die realistische Darstellung andeuten, tun Singschauspielerinnen ersten Ranges, der Schönberg-Chor und das engagierte RSO, geführt von einem exzellenten Dirigenten, als sei dergleichen geradezu selbstverständlich!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2008)


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