Wien feiert eine Premiere der etwas anderen Art: Das Abendgymnasium Henriettenplatz bietet eine Türkisch-Matura an.
WIEN. Turan Tuba, 23, strahlt. Ebenso wie Miyase Polat, Derya Karahan oder Ramazan Gök. Insgesamt neun junge Abendschülerinnen und zwei Schüler – alle mit türkischem Migrationshintergrund – traten am Mittwoch zu einer Premiere an: zur ersten Türkisch-Matura an einer österreichischen Schule. 2004 begannen sie im Abendgymnasium Wien, sie konnten erstmals das Wahlpflichtfach Türkisch wählen. Statt Französisch oder Latein. Nun, nach vier Jahren, treten sie zur Matura an.
Direktor Oskar Achs spricht von einem langen Weg, den er zurücklegen musste. „Es gibt keinen Lehrplan“, hieß es zuerst im Bildungsministerium. Die Schule entwickelte gemeinsam mit dem Türkisch-Pädagogen Aintin Amet, der nun auch unterrichtet, einen EU-konformen Lehrplan, der zur Matura führt. 2004 konnte der Schulversuch starten, als bisher einziger in Österreich.
Achs will, das Türkisch auch im Regelschulwesen der AHS eingeführt wird. „Die Schüler können sich auf persönliche Stärken stützen, das motiviert dann auch in den anderen Fächern“, so sein Argument. Vor allem aber sind sie mit einem höheren Bildungsabschluss in Österreich voll integriert.
Eines fällt tatsächlich auf: Fast alle der Türkisch-Maturanten sind Schulabbrecher und haben einen zweiten Anlauf unternommen. Miyase Polat (eine von zwei Kopftuchträgerinnen) will Germanistik studieren, Turan Tuba, die mit fünf Jahren nach Österreich gekommen ist, Psychologie. Derya Karahan, heute 18, hat noch die Volksschule in der Türkei absolviert, sie peilt das Politikwissenschafts- und Publizistik-Studium an. Ramazon Gök, 21, kam mit zwei Jahren nach Österreich, er will Türkisch-Lehrer werden.“
Bei der schriftlichen Türkisch-Matura waren die Themen „Straßenkinder“ und „Probleme der Jugend“. Zu diesen mussten die Kandidaten die eigene Meinung darlegen.
Ihre Familien kommen aus einem ländlichen Gebiet der Türkei, sagt Direktor Achs, die Türkisch-Grammatik war ihnen völlig fremd, ergänzt Türkisch-Lehrer Amet. Aber ihr Vater, ein Arbeiter, und ihre Mutter, die zu Hause ist, wollen die Tochter als Studentin sehen, sagt Derya Karahan. Dass sie kein Kopftuch trägt, findet sie normal. Die Eltern verlangen es nicht, es sei ihre Entscheidung. „Jetzt will ich's nicht, vielleicht später“, meint auch Turan Tuba.
Kein Schulgeld
Die Abend-AHS ist als öffentliche Schule kostenfrei. Der Anteil der Kinder mit ausländischen Wurzeln liegt bei 30 Prozent. Ca. 60 Prozent der Schüler sind weiblich, bei jenen mit türkischem Migrationshintergrund ist der Anteil noch höher. Nach dem ersten Jahr (man kann auch im Halbjahr beginnen) brechen freilich 30 bis 40 Prozent ab, „das führen wir auf den Faktor Jugend zurück, etwa weil ein Mädchen sich an einen Burschen bindet“, sagt Achs. Und vier Jahre lang täglich von 17.45 bis 21 Uhr die Schulbank zu drücken, ist auch nicht jedermanns Sache.
ABENDGYMNASIUM WIEN
Erste Türkisch-Matura in Österreich: Der Direktor (2. von li.) und der Türkisch-Lehrer bei der Prüfung. [Clemens Fabry]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2008)