"Motortown": Welch ein edler Knallkörper!

(c) AP (Stephan Trierenberg)
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Akademietheater. „Motortown“ von Simon Stephens. Andrea Breth inszenierte das Zeitstück über Irak und Terror. Eine eindrucksvolle Aufführung und ein Missverständnis.

Die Theaterbesucher lieben Andrea Breth. Gut so. Herzlich und anhaltend fiel der Applaus am Donnerstag nach der Premiere von Simon Stephens' „Motortown“ aus. Die Interpretation ist trotzdem ein Irrtum, was speziell im Vergleich mit dem Festwochen-Gastspiel (2006) auffällt: Ramin Grays lakonische Inszenierung zeigte Menschen wie du und ich, was auf den Zuschauer eine ebenso deprimierende wie läuternde Wirkung hatte.

Andrea Breth präsentiert bizarre Monster und entlarvt Stephens ungewollt als Brit-Shocker-Produzenten. „In-yer-face-theatre“ (in your face) nennt man das in England: shoppen, ficken, sonst nichts, Figuren ohne Innenleben, Leidenschaften, Interessen. Wie immer man zu diesem konservativen Urteil steht, Stephens passt ebenso wie die verstorbene Sarah Kane nicht ins Schema. Er nützt nur die Hülle des angelsächsischen „well-made play“ – und das hat wenig damit zu tun, dass er sich auf die Antike oder im Falle von „Motortown“ auf „Woyzeck“ beruft. Solche Federn steckt sich mancher Jungautor gern an den Hut.

Perfekt geführte Schauspieler

Was Stephens kann wie vielleicht kein anderer: Er zeigt Spiegelkabinette, in denen die Pathologie des Alltags groteske Blüten treibt, über die man bei Ayckbourn lachen kann, bei Stephens nur mehr mit Mühe und Entsetzen. In den Irrgärten dieses 36-jährigen Ex-Punkers mit dem jungenhaften Grinsen, das sich auf jedem Verlagsfoto bestens macht, kann man sich derart verfranzen, dass man sich schließlich selbst jeder Grausamkeit für fähig hält. Es ist ein wenig wie bei den alten Hitchcock-Filmen.

In der Breth-Aufführung verfranzt man sich nicht, sondern sieht beeindruckt den perfekt geführten Schauspielern zu, lauscht dem treu übersetzten Text (Barbara Christ) – und geht anschließend fort mit leicht schwirrendem Kopf, als hätte man zu viele Zeitungsartikel über die entsetzlichen Vorkommnisse in unserer Welt gelesen.

Hervorragend ist das Programmheft (Dramaturgie: Judith Gerstenberg). Es enthält ein Resümee des Autors von seinem teilweise bewusst verrätselten Text sowie Informationen zum zeitlichen Background: „Motortown“ entstand im Juli 2005, als London zum dritten Mal den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2012 erhielt, in Schottland die G-8 tagten und bei einem Terroranschlag in Londons U-Bahn 56 Menschen starben und 700 verletzt wurden. Erzählt wird eine Geschichte vom Soldaten, der sich vom Krieg im Irak pervertiert, daheim nicht mehr zurechtfindet – und eine junge Schwarze tötet. Breth hat wie immer für jede Figur eine präzise Komposition erfunden. Herrlich, abgründig komisch: das Ehepaar Helen (Andrea Clausen) und Justin (Udo Samel), die den Ex-Soldaten Danny (Nicholas Ofczarek) zu einem flotten Dreier verlocken wollen.

Trost für geschockte Bürger

Schwer verzeichnet zum drogensüchtig anmutenden Kretin wirkt dagegen Paul (Wolfgang Michael), ein Mensch, der Waffenimitate scharf macht, Minderjährige missbraucht und der Welt die baldige Apokalypse prophezeit. In der englischen Fassung war dieser Typ einer von den recht attraktiven, kantigen Testosteronkerlen, bei denen es eine Weile dauert, bis „frau“ das Weite sucht, weil der bedrohliche Unsinn, den sie vortragen, so völlig logisch klingt.

Ähnlich demonstrativ sonderbar wie Paul: Dannys autistischer Bruder, Markus Meyer gelingt es trotzdem zu berühren. Eine interessante Verwandlung hat die notorische Madonna Johanna Wokalek vollzogen, die Dannys Ex-Freundin Marley spielt: Sie verlässt ihn, weil seine Briefe aus dem Irak sie erschrecken. Wokalek beeindruckt als herbes Kind der Suburbs, das aus Selbstschutz früh gelernt hat, was eine funktionierende Beziehung ist, und was nicht.

Ofczarek, der irische Wurzeln hat und als Danny kongenial und typengerecht besetzt ist, wurde ein anstrengend aussehender Bewegungskanon aufgedrungen: Kaputter Soldat, sieht man gleich. Astou Maraszto als Jade wird gefoltert und ermordet, was lange dauert und starke Nerven erfordert. Jörg Ratjen als Tom verkauft Danny die Waffe; man sieht, der Mann hatte schon öfter Gelegenheit, sich vor Kunden zu fürchten.

Annette Murschetz baute ein tolles Abbruchhaus für die Aufführung. Da weiß man sofort: Hier ist die Unterschicht daheim, die nichts mit uns ehrbaren Bürgern zu tun hat. Auch aus diesem Grund wird die Aufführung vermutlich ein Erfolg sein, den sich Breth nach schwierigen Zeiten wahrlich verdient hat – und den sie, ungewohnt entspannt lächelnd und sich verbeugend, sichtlich genoss. Trotz des furchtbaren Stückes, fast ein Familienfest, diese Premiere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2008)

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