„Die Gustloff“: Titanic im Plantschbecken

(c) ORF (ZDF/Conny Klein)
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TV-Zweiteiler. Fahrlässig naiv: Joseph Vilsmaier inszeniert den Untergang der Gustloff als Heimatfilm.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der Katastrophenfilmkitsch des größten Schiffsunglücks der Geschichte bemächtigte. Beim Untergang der von einem sowjetischen U-Boot torpedierten „Wilhelm Gustloff“ am 30.Jänner1945 starben rund 9000 ostpreußische Flüchtlinge – das Sechsfache der Titanic-Opfer. Die bisher einzige Verfilmung (Frank Wisbars Kino-Erfolg „Nacht fiel über Gotenhafen“) ist fast 50 Jahre her. Die filmische Enthaltsamkeit hat Gründe, lange galt es als der Geschichtsrelativierung verdächtiger Tabubruch, an die deutschen Kriegsopfer zu erinnern, als Mutprobe, es schließlich doch zu tun – wie Günter Grass 2002 mit dem Roman „Im Krebsgang“. „Niemals“, sagt der Ich-Erzähler dort, „hätte man über so viel Leid, nur weil die eigene Schuld übermächtig gewesen sei, schweigen“ dürfen.

Nazi- und Nächstenliebe-Spielchen

Darüber reden, aber wie? Grass bereitete das Kopfzerbrechen. Joseph Vilsmaier verzichtet im TV-Zweiteiler „Die Gustloff“ auf diese Denkarbeit. Der Münchner Regisseur ertränkt den Stoff in jener naiv-verklärenden Unmittelbarkeitsästhetik, der er schon in „Herbstmilch“, „Schlafes Bruder“ und der Stifter-Verfilmung „Bergkristall“ frönte.

Ebenso naiv, dazu voller Unwahrscheinlichkeiten das Drehbuch. Der historische Hintergrund interessiert nicht. Es geht um gute und böse Deutsche (etwa einen Hitler-ähnlichen Karl Markovicz, der einen deutschen Schäferhund namens Hasso hat), um eine Liebesgeschichte zwischen dem netten Kapitän Kehding und der warmherzigen Geliebten Erika, um einen Familienzwist (Heiner Lauterbach als Kehdings verbitterter Bruder). Vor allem aber um eine Nächstenliebe-Romantik voller Madonnenposen: Helfen ist hier so lustvolles wie kopfloses Kinderspiel. So assistiert Erika einer Mutter (Dana Vávrová) beim Versuch, das seltsamerweise nicht verwesende tote Töchterchen auf dem Schiff mitzunehmen.

Dass Erika gerade dieser Familie hilft, ist Willkür, wird aber mit seligem Lächeln belohnt. Die übrigen Passagiere kümmern auch den Regisseur nicht, sie müssen nur apathisch stehen und schreiend untergehen. Letzteres in solidem, aber unübersichtlichem, die Handlung versenkendem Titanic-Stil. Dafür wirken die Landszenen oft wie von US-Nazi-Computerspielen abgefilmt.

Besonders irritierend aber: Die Guten (auch das „Volk“) tragen rotwangige Ländlichkeit zur Schau, haben rundliche, weiche, die „Bösen“ kantige, harte Züge. Auch wenn die Typengrenze nicht zwischen Russen und Deutschen, sondern Deutschen und Deutschen gezogen wird: Dass auch die Nazis reduktionistische Physiognomik liebten, hätte ein Minimum an Reflexion verdient. Dieses Minimum fehlt im ganzen Film. Und so wird durch Vilsmaiers Bauernkitschästhetik aus dem Untergang der „Gustloff“ in fahrlässiger Arglosigkeit – ein Heimatfilm.

Teil 1 und 2, So und Mo, 20.15h, ORF2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2008)

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