Dollarkurs und Menschenrecht

Wie die globale Finanzkrise es China ermöglicht, den tibetischen Aufstand niederzuschlagen.

Die Tibeter haben sich für den Aufstand gegen die chinesischen Soldaten einen sehr guten sehr schlechten Augenblick ausgesucht.

Sehr gut ist der Zeitpunkt für die Revolte natürlich, weil Peking so kurz vor der Olympiade in China Ärger dieser Art ungefähr so gut brauchen kann wie einen Ausbruch der Beulenpest in Shanghai.

Sehr schlecht ist der Augenblick hingegen gewählt, weil der Dollar gerade auf einen historischen Tiefststand abgestürzt ist. Wenn ein Dollar gerade noch 60 Eurocent wert ist, kann Peking als größter Gläubiger der USA jederzeit eine ökonomische Apokalypse in Amerika auslösen: Die chinesische Notenbank braucht nur einen Teil ihrer Dollarbestände auf den Markt werfen, und der Wert des Dollars sinkt unter jenen des Papiers, mit dem er gedruckt wird.

Ein wirksameres Argument gegen eine allfällig ernsthaftere Solidarisierung der USA (also damit im Grunde: des Westens) mit den Tibetern gibt es nicht. Der tibetische Widerstand wird deshalb nicht nur an der militärischen Macht Chinas scheitern, sondern auch wegen des bresthaften Zustandes der globalen Finanzmärkte. Angesichts der „schlimmsten wirtschaftlichen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“ (Alan Greenspan) wird der Westen eine von Peking jederzeit mit geringem Aufwand auslösbare weitere Schockwelle auf den Märkten nicht riskieren – so weit reicht die Solidarität mit den unterdrückten Tibetern auch wieder nicht.

Solange nicht gerade das Blut in breiten Strömen vom „Dach der Welt“ fließt, live im Internet oder im Fernsehen weltweit übertragen, kann sich Peking daher darauf verlassen, dass der Dollarkurs für die westlichen Demokratien wichtiger ist als die Befindlichkeit Tibets.

Deshalb muss Peking, zumindest solange das dortige Regime den tibetischen Aufstand einigermaßen diskret niederknüppelt, auch nicht damit rechnen, dass Olympia 08 ernsthaft gefährdet sein könnte. Viel zu wichtig ist das Reich der Mitte mittlerweile nicht nur als Geldgeber der USA, sondern auch als Markt für westliche Produkte. Gerade angesichts US-Rezession wird China eine dringend notwendige Alternative zu Amerika als Stütze der europäischen Konjunktur. Bräche auch noch China weg, bliebe wohl auch der EU eine harte und ungemütliche Rezession nicht erspart – ein Risiko, dass nur der Tibeter wegen niemand eingehen will.

Das ist zwar Pech für Tibet, aber im Kern weder Amerikanern noch Europäern wirklich vorzuwerfen. So ist Realpolitik halt; letztlich ist es einfach im nationalen Interesse der USA wie der EU, sich China in einer derart labilen weltwirtschaftlichen Situation nicht zum Feind zu machen; genauso wie legitim ist, dass China sich dies zu Nutze macht.

Ziemlich unerträglich ist bloß, dass der Westen nicht aufhören mag, sein wohlbegründetes Arrangement mit der Pekinger Diktatur mit dem Anspruch zu verknüpfen, den heiligen Gral der Menschenrechte zu hüten. Menschenrechte, deren Durchsetzung letztlich vom Dollarkurs abhängt, eignen sich nämlich nur sehr bedingt, die diesbezügliche Glaubwürdigkeit des Westens zu untermauern.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.


christian-ortner@chello.at("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2008)

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