Die komplexe Marktwirtschaft

Artikel mit Verstand„Das perfide Spiel der Banken“, Supermarkt, und „Die Wirtschaftskrise findet in den Köpfen statt“, Leitartikel, von Franz Schellhorn, 22. März
Danke! Nachdem ich mich am Samstag schon über die NZZ geärgert habe, die ganze Dossiers zur Verteidigung der Abkassierer schreibt, und erst recht über die FAZ, die die geldgierigen Manager unter dem Hinweis auf Notwehr (!) verteidigt, endlich ein erfreulicher Artikel mit Verstand in der „Presse“. Im Gegensatz dazu habe ich den Eindruck, das man bei NZZ und FAZ entweder den Verstand verloren hat oder eben ganz einfach Sklave des Kapitals ist. Ich bin sicher kein Marxist, aber was Zumwinkels aufführen und Ackermänner von sich geben, ist unerträglich.

Dr. Reinold Hütter

1230 Wien

Alternativen zum KapitalismusLieber Herr Schellhorn! Das klingt ja ganz enttäuscht und resigniert, was Sie da von sich geben! Besonders der letzte Absatz muss Ihnen schwer gefallen sein, nach all diesen Jahren der Lobhudelei für den Kapitalismus und die angeblich fast naturgesetzlichen Selbstregulierungseigenschaften des freien kapitalistischen Marktes.

Es ist halt doch so, dass dieses System in seiner jetzt herrschenden extremen Form von Typen wie Ackermann nicht zu unterscheiden oder zu trennen ist, sondern davon ganz wesentlich geprägt und getragen ist. Und genau wie Sie schreit der jetzt nach staatlicher Intervention bzw. Unterstützung, was typisch ist. Schon bei seinem ersten Versagen in den Dreißigerjahren mit der Weltwirtschaftskrise als Folge wurde der Kapitalismus nur durch staatliche Eingriffe gerettet und seither immer wieder durch Maßnahmen ganz im Sinne von Keynes künstlich am Leben erhalten. Er wurde dann mit zunehmendem Erfolg in seinem Auftreten immer selbstbewusster und mit unglaublichem Propagandaaufwand immer mehr und in den höchsten Tönen als allein selig machend angepriesen, auch von Nobelpreisträgern und nicht zuletzt von Journalisten wie Ihnen, bis zur nächsten großen Katastrophe eben. (Die kleineren dazwischen sind längst vergessen.) Wenn diese nicht so ernst werden sollte wie die erste, so ist dies nicht ein Erfolg des Kapitalismus, sondern der doch da und dort wirksamen Kontroll- und Bremsmechanismen, die – oft gegen großen Widerstand „echter“ Kapitalisten – seit der ersten großen Katastrophe in den meisten Staaten der westlichen Welt nach und nach eingeführt wurden.

Sie dürfen sich nicht wundern, wie Sie es in Ihrem Leitartikel tun, wenn Leute im Licht der heutigen Situation vielleicht idealistisch und naiv, aber doch, über Alternativen nachzudenken beginnen. Ich schlage vor, dass Sie entsprechend Ihrer späten Erkenntnis konsequenterweise Ihr Logo ändern, falls Sie daran denken, Ihre Reihe fortzusetzen: „Was der Kapitalismus nicht kann – und wofür er etwas kann“ wäre eher angebracht. Der Kapitalismus kann nicht ohne korrigierende Eingriffe über längere Perioden für geordnete Verhältnisse sorgen, und er kann etwas, nämlich alles, für das gegenwärtige Chaos.

DI Franz Klopf
1050 Wien

Wahl zwischen Pest und CholeraIch danke Ihnen hiermit von Herzen für Ihre zahlreichen Leitartikel und Kolumnen zum Thema „Was Kapitalismus kann und was er nicht kann“. Zum einen bekommt man damit auch als Laie eine fundierte Übersicht über die komplexe und weit verzweigte Materie der Volkswirtschaft, zum anderen, was noch viel wichtiger ist, holen Sie auch die Entscheidungsträger vor den Vorhang und zeigen auf, welche enormen Auswirkungen auf das praktische Leben mit oft nur im gesellschaftlichen Augenwinkel wahrgenommenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen verbunden sind.

Leider ist dieses gleichsam spannende wie bedeutsame Feld nicht so klar und eindeutig erforscht, dass man richtige und falsche Maßnahmen verlässlich dem Lehrbuch oder dem Rat wissenschaftlicher Berater entnehmen könnte.

Das liegt – so glaube ich – vor allem an zwei Dingen: Zum einen an der Dynamik, mit der sich Märkte, Finanzsysteme und das globale Netzwerk und damit verbunden die ökonomischen Rahmenbedingungen verändern. Gestern noch war Gold die Fluchtwährung bei Problemen am Kapitalmarkt, heute scheint das nicht mehr so eindeutig zu sein. Früher war Inflation mit hohem Wirtschaftswachstum verbunden, seit den 70er-Jahren und derzeit sowieso muss man umdenken.

Die jüngste Krise, die bereits mit der Weltwirtschaftskrise 1929 verglichen wird, ist aus meiner Sicht bisher beispiellos. Durch ein Senken der Zinsen soll die Rezession gestoppt werden, gleichzeitig wird durch heißlaufende Geldpressen die Inflation angeheizt, die eigentlich nur durch steigende Zinsen gestoppt werden kann. Die berühmte Wahl zwischen Pest und Cholera! 1929 hatten wir ja im Gegenteil das Problem der Deflation durch einen Mangel an Liquidität zu bewältigen – ein völlig anderes Szenario als heute.

Zum anderen, was noch wichtiger ist, liegt es daran – und das bedeutet, dass wir hier niemals auf festem Boden stehen werden –, dass Wirtschaft letztendlich auf den Entscheidungen von Milliarden einzelner Menschen basiert und diese nicht rational nach festen Gesetzen getroffen werden, sondern nach Gefühlen, stark eingeschränkten Informationen, persönlichen Einschätzungen, Ängsten und Hoffnungen. Das geeignete Instrument zur Beschreibung der Zusammenhänge wäre hier eher die Chaostheorie als die Mathematik.

Mit diesem systemimmanenten Wissensdefizit verbunden ist leider auch, dass kaum ein politischer Entscheidungsträger ausreichend fundierte ökonomische Kenntnisse hat, um die Folgen von Weichenstellungen wirklich abschätzen und verantworten zu können.

Arno Abler

Bürgermeister der Stadt Wörgl

Den Banken Geld schenken?Als Normalsterblicher muss man, wenn man Geld von den Banken braucht, ordentlich Zinsen und das Geld zurückzahlen. Warum soll also der Steuerzahler den Banken sein Geld schenken? Dass sie vielleicht nach ihrer Fehlspekulation rettende Hilfestellung brauchen, um größere Schäden in unserem Wirtschaftsraum zu vermeiden, ist schon möglich, aber Geschenke sind nicht angebracht. Und wann werden diejenigen, die diese „genialen“ Produkte erfinden und verhökern, zur Verantwortung gezogen?!

Elisabeth M. Schmidburg
1200 Wien

Besseres als NeoliberalismusIn zwei Beiträgen präsentiert uns Franz Schellhorn die volle Bandbreite seiner Meinungen. „Das perfide Spiel der Banken“ zeigt deren Unfähigkeit, der Versuchung nach einer Art Pyramidenspiel in Form unseriöser Kredite zu widerstehen, gepaart mit der Unverfrorenheit, nach dem Platzen der Spekulationsblase die Zeche dem Steuerzahler aufzubürden. Schellhorn springt deswegen über seinen Schatten und plädiert für eine straffere Bankenregulierung, und dafür gebührt ihm Respekt.

Irgendwie als Kompensation nimmt er dann im Leitartikel Christian Felbers vortreffliches Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ aufs Korn. Inhaltlich wird es mit einem Satz abgetan: Das Ungeheuer Marktwirtschaft tobe sich erst einmal richtig aus, um am Ende doch besiegt zu werden. Dann beklagt Schellhorn nur noch den hiesigen Umverteilungssozialismus und ein tiefes Misstrauen gegenüber der Marktwirtschaft, deren Krise nur eine der subjektiven Wahrnehmung sei. Trotz der unhaltbaren Zustände im Bankwesen funktioniere der Kapitalismus noch immer ganz prächtig. Ein bisschen zynisch, finde ich, wenn man besagten Umverteilungssozialismus (diesmal allerdings von unten nach oben) beachtet – siehe oben.

Schellhorn hat natürlich Recht, wenn er auf den enormen Entwicklungsschub in China, Indien, Korea, der Slowakei, Bulgarien, Rumänien usw. hinweist. Dass Globalisierung in unseren Breiten als Mittel zur Ausbeutung von Menschen in unterentwickelten Ländern verstanden wird, ist freilich kein Gegensatz, sondern die andere Seite der Medaille: Der Autor selbst merkt an, dass heimische Unternehmen in Osteuropa alle Banken und Versicherungen aufkaufen, die nicht angenagelt sind. Wie soll man das bezeichnen?

Vielleicht hatte der alte Marx neben seinen vielen Irrtümern doch eine richtige Vision: Kein System vermag es wie der Kapitalismus, die Produktivkräfte geradezu explosiv zu entfalten – solange bis er an seinen zahlreichen Widersprüchen zugrunde geht. Zu diesen zählt seine Unfähigkeit, die fast neurotisch maximierten Gewinne auf die Ärmeren rechtzeitig und in ausreichendem Maße durchsickern zu lassen, anstatt sie in Glücksspielen zu versenken.

Daraus kann man folgern: Wir brauchen nicht die sattsam gescheiterte Kommandowirtschaft, aber etwas Besseres als den Neoliberalismus. Nicht ein gedankenloses „more of the same“, sondern zunächst wenigstens ein Nachdenken über das, was wir wirklich wollen, nämlich Sinn und Werte in der Wirtschaft. Und – was das Schwierigste ist – die Motivation und die Institutionen, um sie in ein neues Wirtschaftssystem umzusetzen.

Dr. Gottfried Jochum
6850 Dornbirn

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2008)

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