Ernst von Glasersfeld erhält Ehrenkreuz für Wissenschaft

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Der 91-jähriger Mitbegründer des "Radikalen Konstruktivismus" studierte an der ETH Zürich und der Universität Wien.

Der 91-jährige Philosoph und Kommunikationswissenschafter Ernst von Glasersfeld wurde am Montag mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet. "Österreich ist stolz auf diesen außergewöhnlichen Menschen und Ausnahme-Forscher", würdigte Wissenschaftsminister Johannes Hahn den gebürtigen Münchner bei der Ehrung. Glasersfeld hält Dienstag (8. April), den Vortrag "Gedanken über Raum und Zeit. Unverbindliche Erinnerungen" im Rahmen der Wiener Vorlesungen um 19.00 Uhr im Billrothhaus in Wien-Alsergrund.

Glasersfeld wurde am 8. März 1917 als Sohn eines k.k. Diplomaten und einer Skirennläuferin in München geboren und hatte damit zunächst die Staatsbürgerschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie. Der heute irisch-amerikanische Staatsbürger gilt als ein bedeutender Denker der Gegenwart und Mitbegründer des "Radikalen Konstruktivismus".

Forscher ohne Studienabschluss

Der emeritierte Professor, der niemals ein Studium abschloss, beschreibt den "Radikalen Konstruktivismus" als "eine unkonventionelle Weise, die Probleme des Wissens und Erkennens zu betrachten". Die Theorie beruhe auf der Annahme, dass alles Wissen, wie immer man es auch definieren möge, nur in den Köpfen von Menschen existiert und dass "das denkende Subjekt sein Wissen nur auf der Grundlage eigener Erfahrungen konstruieren kann". Glasersfeld: "Was wir aus unserer Erfahrung machen, das allein bildet die Welt, in der wir bewusst leben."

Der Wissenschafter verbrachte seine Kindheit in Meran, wuchs dreisprachig auf (Deutsch, Englisch, Italienisch) und lernte im Internat in der Schweiz Französisch als vierte Sprache. Seine akademische Laufbahn begann mit dem Studium der Mathematik an der ETH Zürich und setzte sich - aus Geldnot - an der Universität Wien fort. Doch nach kurzer Zeit wich Glasersfeld 1937 der antisemitischen Stimmung und der Präsenz der Nazis an der Hochschule und verließ Österreich.

Bauer, Journalist und Wissenschaftler

Nach einem kurzen Aufenthalt in Australien als Skilehrer und kurzfristig in Paris emigrierte Glasersfeld nach Irland, lebte dort als Bauer und traf hier u.a. mit Erwin Schrödinger und James Joyce zusammen. Als Kulturjournalist kehrte er nach dem Krieg nach Südtirol zurück und bot erste konstruktivistische Reflexionen. Er arbeitete für den "Standpunkt" in Bozen und die "Weltwoche". 1959 wurde er Mitarbeiter von Silvio Ceccato, Gründer des Zentrums für Kybernetik der Universität Mailand, und arbeitet zunächst in Italien und dann in den USA. Aus seinen Arbeiten zog Glasersfeld u.a. den Schluss, dass "jede Sprache eine andere begriffliche Welt bedeutet".

Danach folgte der Wissenschafter einem Ruf als Professor für Kognitive Psychologie an die University Georgia in Athens. Seine Beiträge zur Primatenforschung machten ihn berühmt. Als Professor für Kognitive Psychologie entwickelt er mit Computerkollegen "Yerkish", eine erste Sprache für Kommunikationsversuche mit Schimpansen.

Glasersfeld beschäftigte sich mit dem Werk Jean Piagets und lieferte Beiträge im Bereich der Lerntheorie und der Unterrichtsdidaktik. Er gilt mit seinem Freund Heinz von Foerster als Mitbegründer des "Radikalen Konstruktivismus". Die Arbeiten von Glasersfeld haben u.a. in den Kognitionswissenschaften, in der Managementlehre und Ökonomie, in den Literatur- und Medienwissenschaften, in der Mathematikdidaktik und in der Philosophie Spuren hinterlassen.

Ehrendoktorate und Auszeichnungen

Seit seiner Emeritierung 1987 war Glasersfeld am Scientific Reasoning Research Institute der University of Massachusetts (USA) tätig. Neben Ehrendoktoraten von der Universität Klagenfurt und der Universite Du Quebec in Montreal hat Glasersfeld Auszeichnungen von Universitäten und wissenschaftlichen Vereinigungen in den USA, Kanada, Belgien und Deutschland erhalten.

Jüngst veröffentlichte Glasersfeld sein Buch "Unverbindliche Erinnerungen: Skizzen aus einem fernen Leben" (Folio Verlag, Wien 2008). Eine Doppelbiografie von Glasersfeld und Foerster erschien 1999 unter dem Titel "Wie wir uns erfinden". Weitere deutschsprachige Werke umfassen "Wissen, Sprache und Wirklichkeit" (1987), "Über Grenzen des Begreifens" (1996), "Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme" (1997) und "Radikaler Konstruktivismus - Versuch einer Wissenstheorie" (2005). (APA)


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