Oskar Kokoschka: Blick ins Gesicht der Wahrheit

(c) Fondation Oskar Kokoschka
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Kokoschka flüchtete 1934 nach Prag, ab 1953 lebte er in Villeneuve am Genfer See. Wie ein Junggenie noch 46 Jahre Alterswerk schuf.

Nur Rembrandt und vielleicht auch noch Loriot haben schönere Knollennasen gezeichnet, aber bei weitem nicht so bunte und verwegene wie der große, einzigartige, langlebige Oskar Kokoschka, dem die Albertina ab diesem Freitag eine Schau mit 44 Gemälden, mehr als hundert Zeichnungen und einigen Drucken widmet, ein Gutteil davon aus dem reichen hauseigenen Bestand.

Die frühesten Werke stammen aus dem symbolträchtigen Jahre 1934 – da war der in Pöchlarn geborene Künstler bereits 48 Jahre alt und längst berühmt. In Nazi-Deutschland galt er als entartet. Unter Hitler wurden mehr Bilder von Kokoschka verbannt und verbrannt als von jedem anderen Künstler.

Das mag damit zusammenhängen, dass die beiden Österreicher Anfang des 20.Jahrhunderts sozusagen Kollegen waren. Kokoschka wurde an der Kunstgewerbeschule aufgenommen, Hitler jedoch nicht. Wenn er das gewusst hätte, soll Kokoschka später gesagt haben, hätte er gerne auf das Stipendium verzichtet; vielleicht hätte es sogar den Zweiten Weltkrieg verhindert.

Den Nazis knapp entkommen

So aber fingen für Kokoschka 1934 die Wanderjahre an. Er flüchtete aus dem Ständestaat nach Prag, entkam dort 1938 im letzten Moment dem Zugriff der Nazis. Er reiste nach England, erhielt die britische Staatsbürgerschaft und lebte ab 1953 in Villeneuve am Genfer See. All die Bilder dieser Stationen – die politischen Phasen im Exil, Krieg und Wiederaufbau, sowie Altersweisheit, aber auch der etwas gefällige Dienst an den Reichen und Berühmten – sind in der Albertina vertreten. Sie zeigen die zweite Hälfte des Lebens, während die frühe, wahrhaft genialische Phase Kokoschkas derzeit im Unteren Belvedere zu sehen ist.

Welche der beiden Ausstellungen ist also die gelungenere? Nun, kunsthistorisch interessanter ist fraglos jene im Belvedere, doch wer diesen sympathischen, politisch wachen Künstler in all seinen Facetten kennenlernen möchte, darf auf die hervorragend aufbereitete Schau in der Albertina nicht verzichten. Die Kuratorin, Antonia Hoerschelmann, hat die Vorzüge des Alterswerks klug ins rechte Licht gerückt. Und wie erklärt sich die Kokoschka-Expertin gängige Vorbehalte gegen das Alterswerk? „Die skeptische Rezeption seines heute als Spätwerk bezeichneten ?uvres rührt wohl nicht nur in Österreich vom Nachkriegscredo der Abstraktion her“, schreibt sie im hervorragenden Katalog (Hatje Cantz, 328 Seiten, 29 €).

Das erscheint aus heutiger Sicht beinahe schon wieder ungerecht. Vor allem die großen Stadtporträts, etwa von London, Prag, Dresden, Florenz oder Salzburg beeindrucken mit ihrer vibrierenden Energie, sie wirken wie Organismen. „Diese Stadt hat kein Gesicht, bloß Dynamik“, sagte Kokoschka über New York, das er 1966 malte. Seine Stadtbilder aus der frühen Nachkriegszeit zeugen auch vom Wiederaufbau: Leben wächst aus den Ruinen.

Dem Tod ins Gesicht sehen

Aufschlussreich ist der politische Maler. Im englischen Exil entstanden satirisch anmutende Werke, die vor Nachgiebigkeit gegenüber den Diktatoren warnen. „Das rote Ei“ (1940) zeigt einen gefräßigen Mussolini, einen Hitler mit Narrenkappe, der im Begriff ist, sich aufzurichten, einen zögernden britischen Leu, eine kauernde französische Katze. Zerteilt werden soll das Brathuhn Tschechoslowakei. Es flieht. Vom Londoner Blitz beeinflusst scheint das bedrohliche „Anschluss – Alice in Wonderland“ (1942). Es lodern die Flammen in Wien, alle schauen weg, Muttergottes und Jesuskind wurden geköpft. Den Erlös solcher Bilder spendete Kokoschka dem „Free Austrian Movement.“

Beeindruckend sind auch die ganz späten Gemälde wie das „Ecce Homines“ oder „Time, Gentlemen please“. Es geht um Grunderfahrungen des Menschen, um Liebe und Vergänglichkeit. Die knollennasigen alten Männer, die dem Tod begegnen, erinnern an Rembrandts späte Selbstporträts. „Wenn ein Künstler fähig ist, der Wahrheit so ins Gesicht zu sehen, dass er das Vergängliche begreifen und trotzdem ihm Form geben kann“, sagte der greise, doch stets alerte Kokoschka, „dann hat er mehr getan, als jedes Wort tun kann.“

Bis 13.Juli, täglich 10 bis 18Uhr, Mi. bis 21h. Eintritt: 9,50 €. Tel: 01/53-483-540.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2008)

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