Der Embryo als Galionsfigur im Streit ums Geld

Die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen bleibt ein Trampelpfad, in dessen Morast die Ethik auf der Strecke bleibt.

Vergangenen Freitag ist in Deutschland eine Grundsatzentscheidung gefallen: Der Bundestag votierte mit 346 gegen 228 Stimmen dafür, den Stichtag für den Import von Stammzellen aus dem Ausland „einmalig“ zu verschieben, um in Hinkunft Stammzellen aus „frischeren“ Embryonen verwenden zu dürfen. Bislang durften Forscher in Deutschland nur Stammzellen verwenden, die vor dem Stichtag 1. Jänner 2002 im Ausland gewonnen wurden, nun gilt die Frist „vor dem 1. Mai 2007“. Die Wogen gingen bis zuletzt hoch, der Fraktionszwang wurde für die Abstimmung aufgehoben. Für Österreich muss das Beispiel Deutschlands Signalwirkung haben, denn eines ist klar geworden: Wer einmal die Verwendung von Embryonen für Forschungszwecke gebilligt hat, hat den Rubikon überschritten und steht unter Zugzwang, weitere Lockerungen zuzulassen.

Diese Stammzellen würden ohnehin nur aus den so genannten überzähligen Embryonen gewonnen werden, d.h. aus jenen Embryonen, die nach einer künstlichen Befruchtung übrig bleiben, so die Rechtfertigung. Als „Klinikmüll“ wurden sie jüngst wenig schmeichelhaft von Deutschlands CDU-Forschungsministerin Anette Schavan bezeichnet. Diese Embryonen wolle ohnehin niemand mehr haben, und so bekomme ihr Leben wenigstens nachträglich noch einen Sinn – durch ihren Verbrauch für Forschungszwecke. Diesem Argument muss entschieden widersprochen werden.

Ethisch rechtlicher Widerspruch

Viele Länder sind sich offenbar des Dilemmas bewusst. Sie verpflichten gesetzlich dazu, nur so viele Embryonen zu erzeugen, wie im Rahmen ein und desselben IVF-Zyklus implantiert werden. Die Erzeugung von überschüssigen Embryonen ist selbst schon ein Missbrauch. Ethisch und rechtlich ist es ein Widerspruch, das Experimentieren mit Embryonen einerseits gutzuheißen, wenn andererseits deren Erzeugung eigentlich verboten ist. Das ursprüngliche Unrecht wird auf dem Wege der Nutzung für einen „höheren Zweck“ nicht wieder gutgemacht. Der Embryo ist ein Mensch und darf daher nicht verzweckt, d.h. in dieser Form instrumentalisiert werden. Embryonen sind kein Objekt, das sich der Mensch zunutze machen dürfe, mahnte deshalb auch jüngst in der deutschen Debatte der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, Mitglied des Deutschen Ethikrates. Die zur Verfügung stehenden „überzähligen Embryonen“ seien bereits durch eine Grenzüberschreitung entstanden. Die Politik müsse sich entscheiden, was ihr das Bekenntnis zu Lebensschutz und Menschenwürde wert sei, so Schockenhoff.

Biopolitik, nicht Bioethik

In der aktuellen Debatte geht es um Biopolitik, nicht um Bioethik. Das ist ganz in Ordnung so und gibt den Blick frei auf ein anderes Kapitel, um das es hier geht: Es geht in der Stammzellenforschung nämlich auch um Geld, um sehr viel Geld. Die Verheißungen sind gigantisch. Man spricht von einem neuen, revolutionierenden Paradigma der Medizin. Der Mensch werde nicht mehr geheilt, sondern einfach erneuert: keine „Reparaturmedizin“ mehr, sondern eine „Erneuerungsmedizin“. Dies schien zum Greifen nahe, als es James Thomson im Jahr 1998 gelang, humane embryonale Stammzellen (hESZ) aus IVF-Embryonen zu isolieren. Die Forschung mit hESZ startete daraufhin sofort, doch wurde damit zugleich eine Debatte über ethische Fragen losgetreten. Diese dauert nun schon zehn Jahre weltweit an, und sie kommt an kein Ende. Um die Jahrtausendwende sah es noch so aus, als ob den adulten Stammzellen (hASZ) keine große Zukunft in der medizinischen Praxis beschieden wäre, während die mit hESZ befassten Wissenschaftler Heils- und Zukunftsvisionen exklusiv für sich beanspruchten. Nun hat sich das Bild grundsätzlich geändert:

a) Die Forschung mit humanen adulten Stammzellen hat zahlreiche therapeutische Anwendungen, die weltweit bereits tausenden Menschen das Leben gerettet haben.

b) Die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen konnte die große Hürde, dass diese Zellen wuchern und Tumore bilden, nicht überwinden.

c) Ende 2007 ist es erfolgreich gelungen, induzierte pluripotente Stammzellen (iPSZ) zu erzeugen. Es handelt sich dabei um reprogrammierte humane adulte Stammzellen, die die Eigenschaften von embryonalen aufweisen. Diese verjüngten Zellen sind genauso multitalentiert wie embryonale, mit dem Unterschied, dass sie ethisch sauber gewonnen wurden – ohne Tötung von Embryonen.

Man darf sich zu Recht die Frage stellen, ob die Forschung an hESZ so gesehen nicht gänzlich überflüssig geworden ist. Die Antwort ist knapp, sie lautet: Ja. Dieser Ansicht sind auch private Investoren, die sich angesichts der dürftigen Ergebnisse der humanen, als Heilsweg propagierten ES-Zellen kalte Füße geholt haben. Die Wahrscheinlichkeit kurzfristig erreichbarer Therapien auf Basis menschlicher embryonaler Stammzellen sei „verschwindend gering“, gab Alan Colman, einer der Pioniere der ES-Zellforschung, im Juli 2007 im Wissenschaftsjournal Science bekannt und erklärte seinen Rückzug als Geschäftsführer der Firma ES Cell International, die vor acht Jahren mit großem Pomp in Singapur eröffnet worden war. Adulte Stammzellen sind ethisch unbedenklich und heilen heute schon, die embryonalen sind nur „viel versprechend“, ohne jedoch je geheilt zu haben. Mit adulten Stammzellen gibt es bereits Therapien, mehr als 1400 klinische Studien laufen alleine in den USA. Und auch „Alleskönner“-Zellen aus dem Nabelschnurblut wurden inzwischen bei 6000 Transplantationen verwendet. Keine einzige klinische Studie hingegen liegt mit ES-Zellen vor.

Eines wird in der Debatte deutlich: Der Embryo wird in Wahrheit nur als eine Galionsfigur im Streit um die Freiheit der Forschung missbraucht. Das wird noch deutlicher nach der erfolgreichen Gewinnung von iPSZ, die keine Opfer von Embryonen fordern, aber annähernd die gleichen Eigenschaften wie embryonale Stammzellen besitzen. Welche Argumente sollen noch die Instrumentalisierung von weiteren Embryonen rechtfertigen? Der Verdacht erhärtet sich, dass hier in Wahrheit nicht ein Kampf um Forschungsfreiheit, sondern um Geld, Arbeitsplätze, teure Labors, Ehre und Ruf ausgetragen wird. Der Begründer der deutschen Soziologie, Georg Simmel, hatte bereits 1900 in seinem Traktat „Philosophie des Geldes“ die Problematik des Geldes und seine Verführungskraft angezeigt: „Das zum Endzweck gewordene Geld lässt jene Güter, die an sich nicht ökonomischer Natur sind, nicht als ihm koordinierte, definitive Werte bestehen; es genügt ihm nicht, sich neben Weisheit und Kunst, neben personale Bedeutung und Stärke, ja neben Schönheit und Liebe als ein weiterer Endzweck des Lebens aufzustellen, sondern indem es dies tut, gewinnt es die Kraft, jene anderen zu Mitteln für sich herabzudrücken.

Eingeschüchtert von der Lobby

Private Kapitalgeber ziehen sich langsam aus der hESZ-Forschung zurück. Öffentlichen Stellen fehlt noch der Mut, sie kündigen etwas halbherzig, aber immerhin an, die Forschung mit adulten Stammzellen forcieren zu wollen. Offenbar sind sie eingeschüchtert von der Lobby der in der Stammzellenforschung aktiven Wissenschaftler, die noch immer gebetsmühlenartig wiederholt, dass das Um und Auf in jener Stammzellenforschung liegt, die den Verbrauch von Embryonen einschließt. Die permanente Wiederholung der Aussage, dass diese Forschung der Königsweg sei, macht sie nicht wahrer. Sie bleibt ein Trampelpfad, in dessen Morast die Ethik auf der Strecke bleibt.

Prof. Dr. Enrique H. Prat ist Geschäftsführer des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2008)

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