Gotteskrieg als Jugendtrend

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Zwei junge Wiener Mädchen gingen nach Syrien, um dort in den Jihad zu ziehen. In Wien fragt man sich inzwischen: Wie konnte der Krieg Teil der Jugendkultur werden?

Im Nachhinein fragen sich alle, wie das hatte passieren können. Zwei Mädchen, 15 und 16 Jahre, beschließen, nach Syrien in den Jihad zu ziehen. Mittlerweile sollen sie dort verheiratet sein, besagen Foren-Einträge. Die Polizei bestätigt das nicht, nur so viel: Die Mädchen sind in die Türkei geflogen, und die Familie war und gilt als völlig unauffällig. Nun sucht Interpol nach den beiden Jugendlichen, deren Eltern in den 1990er-Jahren aus Bosnien vor dem Krieg flüchteten.

Am Mittwoch soll sich eine der beiden sogar bei ihrer Schwester gemeldet haben. Es gehe ihr gut. Was das Mädchen vorhabe, hätte sie allerdings nicht gesagt. Zurück bleiben die fassungslosen Eltern und die Frage: Werden die heimischen Jugendlichen radikaler?
„Wenn ich mit Sozialarbeitern und Lehrern rede, dann ist das Thema unter Jugendlichen sehr präsent und in den vergangenen Jahren noch präsenter geworden", sagt Thomas Schmidinger. Der Politologe hat sich viel mit der Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen beschäftigt. „Die Rede von Salafismus, davon nach Syrien zu gehen oder in den Jihad zu ziehen, ist weit verbreitet", sagt er. Schließlich sei es aber - und das ist ihm ganz wichtig - nur ein ganz kleiner Teil, der tatsächlich gehe. Die anderen reden nur darüber. Es ist - provokant formuliert - Teil ihrer Jugendkultur geworden.

Um das zu verstehen, muss man mit den beiden Sozialarbeitern Fabian Reicher und Manuela Synek reden. Das Büro ihres Streetwork-Vereins Back Bone 20 liegt nur wenige Meter vom Mortara-Park entfernt, wo Supermärkte Zeitungspapier statt Rollos als Sichtschutz in die Fenster kleben.

Viele der Jugendlichen hier kommen aus muslimischen Familien. „Da ist alles, was in Syrien, Israel oder Ägypten passiert, ein Thema. Sie sehen das im Internet und Fernsehen, nehmen das von zu Hause oder aus den Gebetshäusern mit", sagt Synek. Die Jugendliche, mit denen Reicher und Synek arbeiten, kommen oft aus sozial und ökonomisch benachteiligten Familien. Sie sprechen meist schlecht Deutsch, und wenn sie aus der Schule kommen, haben sie oft keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. „Sie sind von klein auf damit konfrontiert, dass sie nicht dazugehören", sagt Synek. Also identifizieren sich manche mit den Menschen in Syrien.

Ein europäisches Weltbild. „Es ist eine sehr einfache Form des Islam, die Salafisten anbieten", sagt Politologe Schmidinger. Eine, die frei von theologischen Zweifeln ist. „Diese Gruppen haben oft mehr mit Sekten gemeinsam als mit dem konservativen Islam." Schmidinger hat beobachtet, dass jene jungen Erwachsenen, die in den Jihad ziehen, oft aus einem säkularen Haushalt kommen, davor nichts mit Religion zu tun hatten. Syrien habe zusätzlich den Vorteil, dass gegen das „böse Assad-Regime" gekämpft werden kann.

Bei Mädchen, glaubt er, käme dann auch noch eine gewisse Sozialromantik hinzu. Sie glaubten, sie gingen dann zu den „echten Männern, jenen mit den Waffen in der Hand", sagt Schmidinger. „Den Jugendlichen imponiert es oft, wenn Menschen in Not geholfen wird", sagt wiederum Sozialarbeiter Reicher. Er hört es immer wieder: „Die (etwa die radikale al-Nusra-Front, Anm.) kämpfen, dass meine Brüder und Schwestern vom Assad-Regime nicht getötet werden", sagen die Jugendlichen. Synek ist überzeugt, dass es schließlich die Leisen, die Stillen sind, die tatsächlich in den Jihad ziehen. „Jemand, der so etwas tun will, der wird nicht laut darüber reden", sagt sie. Und laut sind eben doch einige. Sie lassen sich Bärte wachsen, sehen sich Hinrichtungen auf YouTube an und singen bei den Naschids, den islamischen A-Capella-Gesängen, die oft zu Propagandazwecken verwendet werden, lautstark mit.

Sind sie deshalb gefährlich? „Vieles davon ist reine Provokation", ist Reicher überzeugt. Die Jugendlichen würden auch wissen, wie man hierzulande schockieren könnte. „Ich hatte einmal einen Jungen, der hat, weil er mehr Aufmerksamkeit wollte, alle rechten Parolen heruntergeleiert, die ihm eingefallen sind. Von den österreichischen, türkischen, bosnisch-kroatisch-serbischen bis zu den salafistischen Geschichten, bis er fertig war." Doch was tun, wenn das eigene Kind solche Parolen von sich gibt? Ignorieren, da sind sich Synek und Reicher einig, sollte man es nicht. Eher positiv umleiten. In Back Bone 20 hat man versucht, mit einem Islamphilosophen ein differenzierteres Bild des Islam zu vermitteln.

Selbst nie in den Jihad. Doch was denken junge Erwachsene selbst über das Thema? Im Süden Wiens, vor einer Moschee im zehnten Bezirk, sitzen Fatih, Davud und Murat, die als strenggläubige Moslems soeben das Freitagsgebet, das wichtigste muslimische Gebet der Woche, besucht haben. Die Reise der zwei Mädchen können sie nicht verstehen. „Denen wurde das Gehirn gewaschen", sind sie sich einig. „Mit 15, 16 weiß du ja nicht einmal, was ein ganzes Volk will", sagt Murat. Für sie selbst käme der Jihad nie infrage. Wenn sie auch in Syrien gern helfen würden. „Aber wenn, dann als Arzt oder so", sagt Fatih. Davud wiederum kennt sehr wohl Jugendliche, die nachdenken, nach Syrien zu gehen. „Und ich weiß nicht, ob das richtig oder falsch ist. Im Koran steht so etwas nicht", sagt er. Gut für den Ruf des Islam ist die Reise der Mädchen auch nicht: „Weil die meisten ohnehin glauben", sagt Davud, „dass Moslems Terroristen sind."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2014)

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