Unter Tussis

Tussiekratie/ Heyne-Verlag
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Versöhnung an der Geschlechterfront? Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling fordern in ihrem Buch »Tussikratie« Frauen auf, Männer nicht für alles verantwortlich zu machen.

Sind Sie beide Tussis?

Theresa Bäuerlein: Ein bisschen. Ich war bei der Arbeit an diesem Buch überrascht, wie oft ich meiner eigenen inneren Tussi begegnet bin.

Friederike Knüpling: Manchmal. Wobei die Tussi für uns keine konkrete Person, sondern eine Kunstfigur ist, die in Geschlechtersachen auf eine Weise denkt, spricht und handelt, wie wir es in den vergangenen Jahren oft beobachten konnten, sowohl in Beiträgen zur journalistischen Gender-Debatte als auch im Alltagsgespräch.

Tussi ist ein Schimpfwort für eine arrogante, oberflächliche, etwas dumme Frau. In Ihrem Buch „Tussikratie“ ist die Tussi jedoch eine Frau, die ihre Chancen auf Kosten der Männer verbessern will und Männer prinzipiell als Gegner sieht. Wie sind Sie auf den Begriff gekommen? War die Tussi Ausgangspunkt Ihres Buch oder nur provokante Klammer?

Bäuerlein: Eher Letzteres. Wir selbst finden den Begriff auch nicht besonders sympathisch, aber er charakterisiert die Debatte der letzten Jahre treffend.

Tussikratie meint die Beherrschung der Debatte durch die „Tussi-Haltung“. Demnach müssen Frauen zu Frauenfragen immer dieselbe Meinung haben, etwa, dass Frauen Karriere machen müssen. Aber wer verordnet diese Einheitsmeinung? Alice Schwarzer, die Medien? Gibt es eine Verschwörung?

Bäuerlein: Es sind weniger bestimmte Personen, eher wirtschaftliche Interessen. Denn für die Wirtschaft ist natürlich von Vorteil, wenn Frauen extrem arbeitswillig und ehrgeizig sind. Irgendwie haben wir uns alle einreden lassen, dass ein Leben nur dann gelungen ist, wenn man die Karriere über alles stellt.

Ihr Buch liest sich über weite Strecken eher wie eine Kapitalismus- als eine Feminismuskritik. Stimmt der Eindruck?

Bäuerlein: Der Feminismus ist kapitalistisch geworden. Ihm geht es nicht mehr um Gleichberechtigung, es geht um einzelne Karrieren.

Knüpling: Die mediale Debatte, die sich selbst als feministisch bezeichnet, führt dazu, dass wir alle noch mehr arbeiten sollen – und zwar für immer weniger Geld, während gleichzeitig die Unsicherheit am Arbeitsplatz und die Mieten steigen.

Sie schreiben, der Fehler der Frauen sei, dass sie alles durch die Geschlechterbrille betrachten. Statt sich mit jenen Männern zu solidarisieren, mit denen sie gemeinsame Interessen haben – sei es professionelle oder politische –, zelebrieren sie lieber die große „Verschwesterung“ untereinander. Aber warum liegt die Schuld für die fehlende Solidarität zwischen den Geschlechtern bei den Frauen – und nicht auch bei den Männern?

Knüpling: Die Geschlechterdebatte suggeriert eine falsche Frontlinie – hier die Männer, da die Frauen –, und historisch gesehen, wird diese Debatte eben von Frauen geführt – auch jetzt und hier reden wieder drei Frauen. Männer haben kein Bewusstsein für die Unterdrückung, die ihnen durch das geläufige Männerbild angetan wird.

Sie haben ja versucht, für Ihr Buch männliche Ko-Autoren zu finden. Keiner wollte.

Bäuerlein: Ja, das war lustig. Sie hatten Angst, mit dem Thema in der Öffentlichkeit zu stehen.

Viele Frauen würden sich wünschen, dass Debatten wie Vereinbarkeit von Job und Familie nicht immer unter dem Titel „Frauenfrage“ laufen, sondern dass sich auch Männer betroffen fühlen.

Bäuerlein: Es stimmt, dass die Männer derzeit wenig dazu beitragen, etwas in der Arbeitswelt zu verändern. Sie profitieren von dem, was die Frauenbewegung auch für sie erreicht hat.

Knüpling: Das ist etwas, das wir den Männern durchaus vorwerfen. Dass sie nicht sehen, wir sehr sie sich selbst in ihrer Rolle als Mann einschränken, indem sie zu solchen Fragen keine Stellung beziehen.

Vielleicht fühlen sie sich wohl, wie es ist.

Knüpling: Bestimmt fühlen sich einige sehr wohl damit, weil sie von dem System profitieren. Aber es gibt noch viel mehr Männer, die gar kein erstrebenswertes Leben haben, die einfach wahnsinnig viel arbeiten und nur ab und zu Gast in der eigenen Familie sind.

Aber gerade die könnten ja etwas sagen – zum Arbeitgeber, zur Partnerin.

Knüpling: Es gibt ein beginnendes Problembewusstsein bei den Männern, die anders leben wollen, die sich aktiv zum Beispiel an der Familie beteiligen und nicht bloß abarbeiten wollen. Aber sie haben noch wenig Übung darin, sich zu artikulieren.

Bäuerlein: Man sieht zwar immer mehr Männerrechtler, aber die werden teils nicht ernst genommen, teils verfallen auch sie in eine zänkische Haltung, die derjenigen der Tussi ganz ähnlich ist: Immer sind die Frauen schuld und alles wird zum Männerthema.

Aber ist es nicht künstlich, partout nie etwas als Männer- oder Frauenthema zu behandeln, auch wenn z.B. eine gewisse notorische Lohndifferenz zu Ungunsten der Frauen statistisch auffällig ist? Warum sollen Frauen nicht gemeinsam darauf hinweisen?

Bäuerlein: Natürlich kann man gemeinsam für Dinge eintreten. Die Lohndifferenz ist ein Problem, das aber oft zu plakativ dargestellt wird. In Frauengruppen gibt es auch oft einen Automatismus, den ich sehr anstrengend finde: Wir Frauen müssen uns gegen die Männer wehren. Da werden Dinge als Frauenproblem dargestellt, die kein Frauenproblem sind und es wird die Verantwortung für Dinge abgegeben, z. B. dass man nicht die Karriere macht, von der man meint, dass man sie machen müsste. Daran sind dann die Männer schuld und man selbst erspart sich, über andere Gründe nachzudenken.

Knüpling: Wir wollten diese Gegenüberstellung von Männern und Frauen an bestimmten Stellen aufbrechen, weil man damit nicht unbedingt viel verändern kann. Wenn an symbolisch wichtigen Karrierepositionen mehr Frauen sitzen, ändert das nichts an der Tatsache, dass nur sehr wenige Menschen dorthin aufsteigen, und zwar um einen sehr hohen persönlichen Preis. Es sitzen dann nur mehr Frauen oben.

Aber kann man Frauen vorwerfen, dass sie nach den existierenden Regeln spielen? Um ein Beispiel aus Ihrem Buch zu bringen: Ist es denn falsch, dass Frauen Frauen raten, in Technikberufe zu gehen anstatt in die Altenpflege, die zwar sehr wichtig, aber auch schlecht bezahlt ist?

Bäuerlein: Wenn man auf persönlicher Ebene seinen Profit maximieren will, ist es nicht falsch. Aber gesellschaftlich ist es falsch, wenn wir alle Technik studieren müssen, weil die Jobs besser bezahlt sind. Das kann keine Lösung sein.

Ist es von den Frauen nicht viel verlangt, stets das große Ganze im Auge zu behalten? Frauen sind ja, wie Sie selber schreiben, nicht die besseren Menschen.

Knüpling: Wir meinen ja nicht, dass die Frauen alles richten müssen. Unser Buch richtet sich nicht nur an Frauen, sondern an alle, die differenzierter über ihre Perspektiven in der heutigen Gesellschaft nachdenken wollen.

Was ist eigentlich das Ziel? Eine Art Unisex-Gesellschaft, wo sich jeder unabhängig vom Geschlecht seine Rolle wählt?

Bäuerlein: Ich würde es nicht so nennen, aber ich würde mir wünschen, dass man sich seine Interessengruppe unabhängig vom Geschlecht wählt. Nicht jedes Mutterthema ist ein Frauenthema.

Wann wird es diese Rollenfreiheit geben?

Bäuerlein: Ich hoffe, es dauert weniger als hundert Jahre.

Knüpling: Wenn wir keine Revolution machen, dauert es auf jeden Fall lange. Obwohl die Fragen, die wir stellen, alt sind, stehen wir ganz am Anfang.

Steckbrief

Theresa Bäuerlein
schreibt als freie Journalistin u. a. für „Neon“, die „Süddeutsche Zeitung“ und Zeit Online. Sie hat bereits drei Bücher veröffentlicht und lebt in Berlin.

Friederike Knüpling ist Doktorandin an der Stanford University. Sie hat eine Kolumne für das „Neon“-Magazin geschrieben und war Redakteurin beim „jetzt“-Magazin. Derzeit lebt sie in Kalifornien.

Tussikratie.
Kluges Buch, reißerischer Titel. Die beiden Autorinnen sezieren darin die Mediendebatte zu (vermeintlichen) Frauenfragen.
Heyne-Verlag, 317 Seiten, 17,5 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2014)

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