EU-Wahl: Junckers Quadratur des Kreises

WIENER NASCHMARKT: SPINDELEGGER / JUNCKER / KARAS
WIENER NASCHMARKT: SPINDELEGGER / JUNCKER / KARAS(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Der Spitzenkandidat der Christdemokraten stellte in Wien sein Wahlprogramm vor. Von einer EU-Reform ohne Vertragsänderung bis zu einer Reindustrialisierung trotz Klimaschutzes.

Wien. „Ich will einige Dinge ändern.“ Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei bei der Europawahl, stellte anlässlich eines Besuchs bei ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas in Wien die Eckpunkte seines Programms vor. Dabei wurde auch deutlich, dass so manche Reformpläne des aussichtsreichsten Kandidaten auf die Nachfolge von José Manuel Barroso als Kommissionspräsident einer Quadratur des Kreises gleichkommen.

Beispiel Industriepolitik: Angesprochen auf die Abwanderungsdrohungen der europäischen Industrie sagte der ehemalige Luxemburger Ministerpräsident: „Die schleichende Deindustrialisierung muss gestoppt werden.“ Die EU müsse künftig über einen starken industriellen Pfeiler verfügen. „Es ist die Stunde einer durchdachten Industriepolitik gekommen.“ Dazu gehöre auch Realismus, mahnte Juncker. Denn die europäischen Großunternehmen würden unter Auflagen leiden, die es in anderen Teilen der Welt nicht gebe. Gleichzeitig tritt er aber für eine strenge Klimaschutzpolitik ein, die von der Industrie als Wettbewerbsnachteil wahrgenommen wird. Entgegen dem Zeitgeist, so Juncker, sollte Europa nur wegen höherer Energiepreise in Nordamerika die klimapolitischen Anstrengungen nicht nach unten korrigieren. „Längerfristig werden jene Standorte gewinnen, die Klimaschutz und Industrieinteressen in Einklang bringen.“

Für eine Energieunion

Um die Energiekosten zumindest bei Gas einzudämmen, tritt der EVP-Spitzenkandidat für eine Energieunion ein. „Wir sind derzeit wirtschaftlich von Russland erpressbar.“ Deshalb müsse die EU eine gemeinsame „Einkaufszentrale“ für Gas gründen. Die 28 EU-Länder sollten dann gemeinsam die Preise und Lieferbedingungen mit Russland aushandeln.

Beispiel Finanztransaktionssteuer: Juncker, der sich für die Besteuerung von Aktien- und Derivatgeschäften ausspricht, verschweigt nicht die absurde Situation, dass sein eigenes Land die Einführung der Steuer strikt ablehnt. „Ich habe vor vier Jahren dafür plädiert, die Finanztransaktionssteuer zumindest auf Ebene der Eurozone einzuführen. Dafür habe ich damals nicht die Zustimmung meines eigenen Kabinetts erhalten.“ Aber der Vorschlag der Kommission liege auf dem Tisch. „Und ich werde ihn auch nicht vom Tisch nehmen.“

Auch Karas sieht derzeit massive Blockaden bei der Einführung der Steuer und erinnerte bei dem Treffen mit Juncker daran, dass die erst in dieser Woche abgegebenen Absichtserklärungen von zehn EU-Regierungen dem geplanten „ordnungspolitischen Modell“ einer solchen Steuer nicht entsprächen.

Beispiel EU-Reform: Juncker ist zwar prinzipiell für die Einsetzung eines Konvents, falls es zur Entwicklung eines neuen EU-Vertrags kommen sollte. Er sieht aber hier einen fast unüberwindbaren Widerstand. „Die meisten nationalen Regierungen und nationalen Parlamente sind derzeit allergisch gegen jegliche Vertragsänderungen.“ Deshalb sollten zuerst die Möglichkeiten des Lissabon-Vertrags so gut wie möglich ausgeschöpft werden. „Schon übermorgen einen Konvent einzuberufen, nur damit EU-Enthusiasten ihre weitreichenden Ideen, die von fast niemandem geteilt werden, zu einem Vertrag heranreifen lassen: Das wird keine Zustimmung der Bürger bringen.“

Auch in dieser Frage wurden zumindest kleine Meinungsverschiedenheiten mit Karas deutlich. Denn der ÖVP-Spitzenkandidat trat bei diesem Treffen mit Juncker erneut für eine rasche Vertragsänderung ein, um die provisorische, zwischenstaatliche Konstruktionen wie den Euro-Rettungsschirm oder den Fiskalpakt rechtlich sowie parlamentarisch abzusichern. „Ich glaube nicht, dass wir abwarten können, bis die Regierungschefs entscheidungsreif sind“, so Karas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2014)

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