Hunderte Menschen sollen bei dem jüngsten Anschlag der islamistischen Boko Haram ermordet worden sein, erneut wurden gestern Mädchen entführt. Die USA, Frankreich und Großbritannien sagten Nigeria Militärhilfe zu.
Über das jüngste Massaker der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram im nordnigerianischen Gamboru Ngala gab es am Mittwoch nur Gerüchte. Von 200, 300 Toten war die Rede. Von Leichen, die den Boden des Marktplatzes pflasterten. „Die Männer schossen wahllos auf Dorfbewohner. Dann zerstörten sie den Markt und verbrannten Waren, die für den Export gedacht waren“, zitiert eine Zeitung Augenzeugen.
Die Zentralregierung bestätigte die Berichte vorerst nicht. Keinen Kommentar gab es auch zu Meldungen, dass gestern nahe der Stadt Chibok erneut Mädchen entführt worden seien. Sie waren offenbar zwischen zwölf und 15 Jahren alt. Vor rund drei Wochen waren in Chibok 200 Schülerinnen gekidnappt worden. Die Boko Haram bekannte sich zur Tat. Die Mädchen würden jetzt verkauft, verkündigten sie. Denn „westliche Erziehung ist Sünde“ – das bedeutet übrigens übersetzt auch „Boko Haram“ – vor allem für Frauen.
Präsident Goodluck Jonathan hat gestern für Hinweise über den Verbleib der Mädchen eine Belohnung in der Höhe von 300.000 Dollar versprochen. Manche in Nigeria fragen sich, wieso das erst so spät geschieht, berichtet der BBC-Korrespondent. Die Regierung gerät angesichts der anhaltenden Gewalt zunehmend in Bedrängnis. Im ganzen Land kommt es täglich zu Demonstrationen, die eine Freilassung der Mädchen fordern und dem Staatschef Tatenlosigkeit vorwerfen.
Die Machtlosigkeit des Präsidenten gegenüber den Terroristen ist auch vor der internationalen Community auf eklatante Weise sichtbar geworden: Die Gewaltwelle erreichte just zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums für Afrika, das Mittwoch in der Hauptstadt Abuja begann, einen neuen Höhepunkt.
Tatsächlich hat sich jetzt auch der Westen in den Kampf gegen die Terrorgruppe eingeschaltet. USA, Frankreich und Großbritannien sagten Nigeria Militärhilfe und technische Unterstützung bei der Suche nach den Mädchen zu. Washington hat offenbar bereits Militärexperten nach Nigeria entsandt. Die Schülerinnen werden vermutlich in der nordöstlichen Grenzregion zu Niger und dem Tschad festgehalten, dem Rückzugsgebiet der Boko Haram. US-Präsident Barack Obama hatte zuvor eine „internationale Mobilisierung“ gegen die Terrororganisation gefordert.
Erfolgreiche Hassprediger
Und diese scheint ihre Macht im verarmten und infrastrukturell unterentwickelten islamischen Nordosten des Landes zunehmend zu festigen – trotz der seit Jahren andauernden Offensive der nigerianischen Armee. Diese Gegend werde von der „Regierung nur noch begrenzt kontrolliert, sie ist höchstens noch in den Städten präsent“, sagt Carlo Koos, Afrika-Experte am Hamburger Forschungsinstitut für Globale und Internationale Studien (GIGA), zur „Presse.“ Angst, Armut, Wut auf die korrupten Politiker in Abuja und das brutale Vorgehen der Armee in der Gegend machen es Hasspredigern leicht, junge Menschen zu rekrutieren.
Doch Boko Haram erhält offenbar auch Hilfe von außen: Die Gruppe würde vermutlich logistische und finanzielle Unterstützung von überregional agierenden Islamisten-Organisationen wie der mächtigen al-Qaida im Islamischen Maghreb und der somalische Al-Shabaab-Miliz bekommen, so Koos. Beweise gebe es nicht.
In Nigeria halten sich indes hartnäckig Gerüchte, dass es Absprachen zwischen Armee und Islamisten gegeben habe. Von Waffenlieferungen ist die Rede, von bezahlten Überfällen, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Ziel sei, den Krieg am Laufen zu halten, um hohe Militärausgaben zu legitimieren. Bewiesen ist das freilich nicht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2014)