Nehmt Österreichs "Tagelöhner" endlich ernst

PK WIRTSCHAFTSKAMMERWAHLEN
PK WIRTSCHAFTSKAMMERWAHLENAPA
  • Drucken

Subtext. WKO-Vize Amann muss nach der Beleidigung der „Ich-AGs" zurücktreten. Ein Schuss vor den Bug der Kammer.

Ganze 56 Stunden hat Fritz Amann den medialen Sturm "überlebt". Seit der freiheitliche Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) die 267.000 Einpersonenunternehmen des Landes im "Wirtschaftsblatt" als "Tagelöhner" denunziert hatte, hagelte es Rücktrittsforderungen von allen Seiten. "Wer nur sich selbst anbieten kann, war und ist ein Tagelöhner", schrieb er. "Die Gruppierung, die so vehement ums Überleben kämpft, sind Arbeitslose, die - aufgrund der Versagenspolitik von Rot-Schwarz - in die Scheinselbstständigkeit gedrängt wurden."

Zu diesem Zeitpunkt bezahlten die "arbeitslosen Tagelöhner" dem Mann, der ihnen das Recht absprach, "echte Unternehmer" zu sein, übrigens noch sein Gehalt. Mehr als die Hälfte der Wirtschaftskammer-Mitglieder sind Einpersonenunternehmen. Nach zwei Tagen Fassungslosigkeit, Wut und Empörung ist zumindest das Geschichte. Amann musste auf massiven Druck von allen Seiten zurücktreten. Selbst sein „Heimathafen", der Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender, hat offenbar aus der Parteizentrale den heißen Tipp bekommen, dass sich in der FPÖ-Wählerschaft der eine oder andere Selbstständige finden könnte, und distanzierte sich von der "Privatmeinung" Amanns.

Seither dichten Wirtschaftskämmerer und Politiker aller Couleurs regelrechte Elogen auf die Kleinstunternehmen des Landes. Keine Innovation, kein Fortschritt wären ohne sie möglich. In zwei Tagen mutierten die Stiefkinder zu den Lieblingen der Funktionäre. Man könnte fast glauben, sie meinen es ernst.

Aber wer die vergangenen Jahre als Einzelunternehmer in Österreich erlebt hat, wird da wohl etwas skeptisch bleiben. Denn viel getan hat niemand, um den existenzbedrohenden Eiertanz vieler Selbstständigen zwischen Steuervorauszahlung und Sozialversicherungsbeiträgen zu beenden. Auch in der Wirtschaftskammer haben sich nur wenig prominente Fürsprecher gefunden. Eine echte Heimat für EPU sieht anders aus. Vielleicht liegt das daran, dass Amann in seinem Fieberwahn sogar einen richtigen Punkt getroffen hat: EPU passen nicht wirklich in die Wirtschaftskammer, wie sie heute ist. Die Institution tut sich - trotz aller Mühen - schwer, den Spagat zwischen den Interessen von Großunternehmen und von Einzelpersonen zu schaffen.

Es ist nicht lange her, da hat man aus der Führungsriege der Kammer schon ähnliche Töne gehört. Vor zwei Jahren dachte etwa der steirische Wirtschaftskammer-Chef Josef Herk (ÖVP) laut darüber nach, Einzelunternehmer aus der Kammer zu entfernen. Natürlich gab es heftige Dementis. Aber der Stachel saß tief. Nur wenige EPU sprechen seither mit Begeisterung von "ihrer" WKO. Dumm ist nur: Sie können nicht weg. Die Mitgliedschaft ist Pflicht, so haben es SPÖ und ÖVP eigens in die Verfassung schreiben lassen. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Unternehmen selbst entscheiden zu lassen, wer sie vertreten soll. Die WKO sollte die Geschichte jedenfalls als Warnschuss verstehen. Das Problem Amann ist sie los, ein guter Moment, um sich wirklich um die Kleinstunternehmen zu kümmern.

E-Mails an: matthias.auer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Österreich

Wirtschaftskammervize tritt nach "Tagelöhner"-Sager zurück

Mit sofortiger Wirkung wird WKÖ-Funktionär Amann von seiner Funktion abgelöst. Er hatte Einpersonenunternehmer als "Tagelöhner" bezeichnet.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.