Boykott: Vom Wildschwein zum Importstopp

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Wildschwein(c) ORF
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Russische Veterinärstandards machten österreichischen Exporteuren immer schon zu schaffen. Nun werden aber absurde Schikanen beklagt: 15 Agrarproduzenten sind boykottiert. Eine Retourkutsche für EU-Sanktionen?

Wien. Für den Tiroler Speckhersteller Christian Handl ist die ganze Angelegenheit eine Farce. Da kommt eine Delegation russischer Lebensmittelkontrollore in seinen Betrieb und agiert, als wäre sie einem Kafka'schen bürokratischen Albtraum entsprungen.

Die Russen stellen bei ihrer Inspektion bauliche Mängel fest. Das Firmenareal sei nicht ausreichend vor dem Eindringen von Wildschweinen geschützt. Von der Tatsache, dass Wildschweine in Tirol eine Seltenheit sind, lassen sich die Kontrollore nicht beirren. „Die österreichischen Veterinäre, die bei der Kontrolle dabei waren, haben nur mehr den Kopf geschüttelt“, sagt der Firmenchef. Über Handl und 14 andere österreichische Produzenten von Fleisch- und Milchprodukten, darunter bekannte Namen wie Berglandmilch, hat Russland, wie vor einigen Tagen bekannt wurde, einen Importstopp verhängt. Sofort stand die Frage im Raum, ob das eine Reaktion auf die EU-Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise sei.

Importstopps sind üblich

Wenn man von der auffälligen Pingeligkeit der Kontrollore absieht, ist es ein übliches Geschäftsgebaren, dass Nicht-EU-Länder, in die österreichische Firmen exportieren, alle paar Jahre ihre eigenen Lebensmittelkontrollen durchführen. „Außereuropäische Länder haben ihre eigenen Hygiene- und Veterinärstandards, die regelmäßig überprüft werden. Entspricht man ihnen, bekommt man eine Exportlizenz. Vorübergehende Sperren sind durchaus üblich“, sagt Handl.

„Importstopps kommen eigentlich ständig vor“, bestätigt Lisa Fuchs, Pressesprecherin im Gesundheitsministerium. Dennoch will man nicht ausschließen, dass die jetzigen Maßnahmen eine politisch motivierte Schikane sind. „Russland hat uns einen dicken Wälzer von einem Bericht geschickt. Wir sind gerade dabei, den zu übersetzen. Nächste Woche gibt es ein innerösterreichisches Koordinierungstreffen der betroffenen Ministerien“, sagt Fuchs. Man wisse, dass es auch in anderen EU-Ländern, in Frankreich etwa, kürzlich verschärfte Kontrollen gegeben habe.

„Ja, die Russen sind enorm pingelig und vielleicht auch froh, wenn sie was zu beanstanden finden. Deshalb sind russische Visitationen bei unseren Betrieben auch so gefürchtet wie die der Finanzpolizei“, sagt Dietmar Fellner, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Moskau. Aber die Schuld liege nicht allein bei den Russen. Österreichs Agrarbetriebe hätten gewisse Normen eben nicht genau eingehalten. Die Russen würden agieren wie auch in den Jahren zuvor. Einen Konnex zu den derzeitigen EU-Sanktionen gegen Russland kann Fellner daher nicht erkennen: „Das fällt zeitlich zusammen, nicht ursächlich. Im Herbst des Vorjahres wurden etwa deutsche und holländische Betriebe kontrolliert.“

Generell kommt die Vermutung, dass Russland über Zertifizierungsnormen politischen Druck macht, nicht völlig aus dem Nichts. Schon oft wurde Russlands Hygienebehörde in die Spur geschickt, wenn es unliebsame Länder wie Georgien mit Importverboten abzustrafen galt. Gegenwärtig freilich braucht Russland, dessen Wirtschaft derzeit an der Schwelle von der Stagnation zur Rezession ist, gar nicht unbedingt einen Importstopp zu verhängen. Auch so gehen die Lieferungen in Putins Reich, das Österreichs zehntwichtigster Exportmarkt ist und im Vorjahr hierzulande Waren im Wert von 3,48 Mrd. Euro einkaufte, zurück.

Für die ersten beiden Monate des laufenden Jahres verzeichnet die österreichische Wirtschaftskammer einen Exportschwund von zwölf Prozent. Jüngere Daten liegen nicht vor, weshalb die Auswirkungen des Themas Sanktionen nicht abgebildet sind.

Verzicht auf westliche Waren

Dass der Export aus Österreich nach Russland schrumpft, liege an einem Mix aus Gründen, sagt Fellner: Der Rubel habe um 20 Prozent abgewertet, Investitionen würden verschoben, manche würden aus einem Nationalismus heraus vielleicht auch auf westliche Waren verzichten. Und jetzt käme noch die schlechte Stimmung wegen der Ukraine-Krise und der Sanktionen hinzu: „Es regiert ein nicht freundliches Geschäftsklima“. Beim Tiroler Speckhersteller Handl halten sich die Umsatzeinbußen durch den Importstopp in Grenzen. „Russland ist mit 0,3 Prozent unseres Jahresumsatzes für uns ein sehr kleiner Markt.“

Empfindlicher trifft die Sperre das Molkereiunternehmen Berglandmilch: „Russland gehört zu unseren Top Ten von insgesamt 51 Exportländern. Die Umsatzanteile bewegen sich zwar noch im einstelligen Bereich, aber Russland ist definitiv ein Zukunftsmarkt“, sagt Geschäftsführer Josef Braunshofer. Man habe deshalb auch bereits alle beanstandeten Punkte abgearbeitet. „Wir wollen Russland signalisieren, dass wir ein verlässlicher Handelspartner sind.“ Braunshofer stellt zwar verschärfte Auflagen bei den Kontrollen fest. Dass diese politisch motiviert sind, glaubt er aber nicht.

Anders sieht das Christian Handl. Er hat eine deutliche Botschaft in Richtung Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium: „Ich wünsche ihnen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Wir müssen uns nicht pflanzen lassen.“ [ iStockphoto ]

AUF EINEN BLICK

Importstopp. 15 heimische Unternehmen, darunter Handl Tyrol und Berglandmilch, dürfen derzeit nicht nach Russland liefern. Der Grund: Russische Kontrollore stellten in den Betrieben Mängel fest. Jetzt haben die Betriebe und das Gesundheitsministerium 60 Tage für eine Stellungnahme Zeit. Beheben die Betriebe die Mängel, wird der Importstopp aufgehoben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2014)

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