Deutschland. Europas wichtigste Volkswirtschaft kann mit sinkenden Steuern auf Arbeit aufwarten – aber die „GroKo“ blockiert derzeit weitere Steuersenkungen.
Berlin. Das große Nachbarland und seine Regierung in Berlin haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Kollegen in Wien: Traditionell relativ niedrige Steuern bzw. Abgaben sowie ein einzigartiges Verständnis für die Gefahren der Inflation haben Deutschland in der Vergangenheit davor geschützt, zu einem Hochsteuerland wie Österreich zu werden.
Dabei sieht der Unterschied in der Lohnbesteuerung zwischen Deutschland und Österreich auf den ersten Blick gar nicht eklatant aus: Laut OECD zahlen niedrig verdienende Singles mit 45 Prozent in Deutschland sogar knapp mehr Steuern als jene in Österreich (44,5 Prozent). Bei fast allen anderen Gruppen sieht die Steuerbelastung ähnlich aus. Entscheidend ist aber der Trend: Während die Belastung in Österreich in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen ist, ist sie in Deutschland gesunken. Aber ob das so weitergehen wird, ist unklar. Zwar hat Finanzminister Wolfgang Schäuble erst kürzlich durchblicken lassen, dass er die Steuern gerne weiter senken würde. Laut „Spiegel“ plant der CDU-Politiker noch in dieser Legislaturperiode eine Steuersenkung, um die Deutschen von den Folgen der kalten Progression zu schützen. Aber der Widerstand innerhalb der großen Koalition ist heftig.
Gefahr kalte Progression
Die kalte Progression bezeichnet das Phänomen, dass ein Arbeitnehmer im Falle einer Gehaltserhöhung möglicherweise auch mehr Steuern zahlen muss, die laufende Inflation aber gleichzeitig einen Teil des Lohnanstiegs entwertet.
Durch diesen Mechanismus ist es sogar möglich, dass ein Arbeitnehmer trotz Gehaltserhöhung weniger real verfügbares Einkommen (sprich Kaufkraft) hat. Deshalb sollen die Einkommensteuersätze 2016 um zwei Prozent sinken – was die Steuerzahler um rund drei Mrd. Euro entlasten soll.
Laut dem „Handelsblatt“ rechnet man im deutschen Finanzministerium mit 643 Mrd. Euro Steuereinnahmen in diesem und rund 670 Milliarden Euro im kommenden Jahr.
Aus der SPD gab es zuerst Zustimmung zu Schäubles Plänen: Immerhin sagte Sigmar Gabriel, dass Steuererhöhungen für die SPD „kein Selbstzweck“ sein dürfen. Die kalte Progression nannte er „sozial ungerecht“. Sein SPD-Fraktionsvize widersprach aber sofort. Axel Schäfer sagte, eine „gerechtere Gesellschaft“ sei nur mit einem „hohen Steuerniveau“ möglich. Und auch die eigene Kanzlerin will von Schäubles Steuersenkungen nichts hören. Angela Merkel erteilte dem Plan zuletzt eine Absage – dem Koalitionsfrieden zuliebe. (jil)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2014)