Gastarbeiter-Songs

"Komm, Türke, trinke deutsches Bier!" Von melancholischen Arabesken, Freddy Quinn und Gastarbeiter-Songs.

In der Türkei leiden alle ununterbrochen an Liebeskummer. Ständig wird jemand von jemandem mit Krach und Krawall verlassen, und damit man diesen unerträglichen Dauerschmerz irgendwie bewältigen kann, schreibt man Lieder und singt sie. Weinend. Mit so einem Eindruck von der Erwachsenenwelt bin ich aufgewachsen, denn türkische Lieder – oder richtiger: die Arabesken – sind so voller Leid, Elend, Melancholie und traurigen Klängen, dass selbst die Möbelstücke in der Wohnung untröstlich sind (als krasses Alternativprogramm hörten wir an den Wochenenden dann grottenschlechte Hochzeitscombos. Da hat dir auch so ziemlich alles wehgetan beim Zuhören).

Du darfst dich wirklich nicht wundern, dass ich als Kind immer gedacht habe, alle Österreicher sind glücklich verliebt. Das denkst du halt in einem Arabesk-Haushalt, wenn du den Musikantenstadl siehst.

Fremde. Dabei darf man nicht jammern über die türkische Musik, die ist genauso vielfältig wie die Musikwelt insgesamt. Selbst die Gastarbeiter-Generation hat ein eigenes Genre erschaffen, das Gurbet Türküleri genannt wird: Lieder aus der Fremde. Einige davon haben Imran Ayata und Bülent Kullukcu in ihrem Album „Songs of Gastarbeiter“ zusammengetragen. Die Musikrichtungen sind durchaus verschieden, der Inhalt der meisten Lieder hingegen spiegelt den Alltag der Arbeiter wider, wobei auch hier meist eine grundsätzlich vorhandene Melancholie herauszuhören ist – sowie eine satirisch-zynische Reflexion des Arbeiterlebens. Ein bis heute verschollener Sänger namens Yusuf singt etwa in einer seltsamen Monotonie: „Ich türkisch Mann / Nix Deutsch sprechen kann.“ Und als logische Fortsetzung: „Ich türkisch Mann / viel Arbeit kann.“

Einer der bekanntesten Gurbet-Sänger war Cem Karaca, der mit „Die Kanaken“ (1984) auch ein deutschsprachiges Album herausgegeben hat. Karaca schwankt in seinen Texten zwischen Sozialkritik und Polemik, er singt über Rassismus, Vorurteile und Jobsuche. So heißt es in seiner Vertonung des Max-Frisch-Zitats über die Gastarbeiter („Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“): „Man brauchte unsere Arbeitskraft / Die Kraft, die was am Fließband schafft / Wir Menschen waren nicht interessant / Darum blieben wir euch unbekannt.“

Viel bissiger klingt sein „Willkommen“: „Komm, Türke, trinke deutsches Bier / Dann bist du auch willkommen hier / Mit ,Prost‘ wird Allah abserviert / und du ein Stückchen integriert.“

Kuverts. Die Lieder stammen aus einer Zeit, in der noch kein Satellit zahllose türkische (Musik-)Sender in die Wohnzimmer gespült hat. Aus dem Jahr 1980 stammt auch Freddy Quinns Lied „Istanbul ist weit“. Darin singt er mehrere Zeilen auf Türkisch, und das hat den Türken so getaugt, dass sie ihm haufenweise Kuverts voll mit D-Mark geschickt haben sollen.

duygu.oezkan@diepresse.com

diepresse.com/diesetuerken

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2014)

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