VfGH-Chef Holzinger will Ministeranklage als Minderheitenrecht

Gerhart Holzinger
Gerhart HolzingerAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Auch die Opposition soll Regierungsmitglieder beim Verfassungsgerichtshof anklagen können, fordert dessen Präsident Holzinger. Bisher ist die Ministeranklage totes Recht.

Wien. Seit 1920 steht die Ministeranklage in der Verfassung. Doch noch nie musste ein Mitglied der Bundesregierung sich deswegen vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) rechtfertigen. Offensichtlicher Grund: Minister können nur dann wegen schuldhafter Rechtsverletzungen vor den VfGH gestellt werden, wenn der Nationalrat sie per Mehrheitsbeschluss anklagt. Doch in aller Regel hat die Regierungskoalition auch im Nationalrat die Mehrheit - und wenig Interesse, die eigenen Leute vorzuführen.

Der Präsident des VfGH, Gerhart Holzinger, wagt deswegen einen Vorstoß: Die Ministeranklage soll zum Minderheitenrecht werden. „Ich halte es für demokratiepolitisch weise, wenn man rechtliche und vor allem verfassungsrechtliche Regelungen so gestaltet, dass sie auch wirken. Daher kann man angesichts des toten Rechts der Ministeranklage nur sagen, man soll diese Regeln so gestalten, dass sie auch wirken", sagt Holzinger im Gespräch mit der „Presse". Es „wäre demokratiepolitisch zweckmäßig, wenn man ein geringeres Quorum als die Mehrheit vorsieht", so Holzinger.

Der VfGH kann nach einer Ministeranklage entscheiden, dass das betroffene Regierungsmitglied sein Amt verliert, sogar der (temporäre) Verlust des Wahlrechts kann ausgesprochen werden. Bei bloß geringfügigen Rechtsverletzungen darf sich das Höchstgericht mit der bloßen Feststellung begnügen, dass der Minister Unrecht getan hat.

Nur eine Anklage in Zweiter Republik

Auch wenn dabei immer von „Ministeranklage" die Rede ist, kann dieses Instrument auch gegenüber anderen Spitzenrepräsentanten angewendet werden: Etwa gegen den Kanzler, den Bundespräsidenten oder gegen Mitglieder von Landesregierungen. Ankläger sind - abhängig vom Posten des beschuldigten Politikers - der Nationalrat, Landtage, die Bundesregierung oder die Bundesversammlung (wenn es gegen das Staatsoberhaupt geht).

Nur gegen Landeshauptleute kam die Ministeranklage auch schon zur Anwendung. 1985 wurde der damalige Landeshauptmann Wilfried Haslauer senior verurteilt, weil er am 8. Dezember 1984 entgegen einer Weisung des Sozialministers erlaubte, die Geschäfte in Salzburg zu öffnen. Angeklagt wurde der ÖVP-Politiker von der rot-blauen Koalition im Nationalrat. Der VfGH entschied, dass Haslauer das Recht gebrochen habe, er durfte aber sein Amt behalten. Detail am Rande: Vor Gericht ließ sich Haslauer anwaltlich von seinem gleichnamigen Sohn vertreten, der inzwischen selber Salzburger Landeshauptmann wurde.

In der Ersten Republik gab es zwei eher kuriose Ministeranklagen gegen den sozialdemokratischen Wiener Bürgermeister Jakob Reumann: 1921 wegen eines „moralischen Skandals", weil er das umstrittene Stück „Reigen" von Arthur Schnitzler im Theater aufführen ließ; und 1923, weil der Bürgermeister die Errichtung eines Krematoriums erlaubte. In beiden Fällen wurde Reumann, der gegen den Willen der Bundespolitik gehandelt hatte, aber nicht verurteilt.

Holzinger ist nicht der erste VfGH-Präsident, der die Ministeranklage zum Minderheitenrecht machen will. Vorgänger Karl Korinek erklärte 2006 im Zuge des Kärntner Ortstafelstreit, er könne sich „absolut vorstellen", die Ministeranklage in die Hände der parlamentarischen Minderheit zu legen. Landeshauptmann Jörg Haider wurde, obwohl er Ortstafel-Erkenntnisse des VfGH missachtete, nie angeklagt.

Europas Verfassungsrichter in Wien

Holzinger lädt ab heute, Montag, Verfassungsrichter aus ganz Europa zu einem Kongress in der Hofburg. Es ist ein Treffen der „Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte", wobei Europa sich nicht auf die EU beschränkt, sondern bis Russland und in die Türkei reicht. Die Konferenz soll die Verfassungsrichter in ihrer Unabhängigkeit stärken. Holzinger will unter anderem das Twitter-Verbot in der Türkei ansprechen. Es gab dazu einen offenen Schlagabtausch zwischen Regierung und Verfassungsgericht in der Türkei.

(Die Presse" - Printausgabe vom 11.05.2014)

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