Maurice Maeterlincks Einakter „Intérieur“ wird von diesem französischen Altmeister in einer nur auf den ersten Blick simplen Weise inszeniert. Die Wirkung dieses Spiels ist wahrhaft beklemmend.
Unentrinnbar ist der Tod. Dieses Wissen gehört zum Menschsein so wie auch das Verlangen, ihn zu verdrängen. In seinem 1895 in Paris uraufgeführten Einakter „Intérieur“ hat der Belgier Maurice Maeterlinck (1862–1949), der 1911 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, die Konfrontation mit der Endlichkeit auf sehr bedrückende Weise umgesetzt: Ein alter Mann steht mit einem Fremden in einem Garten vor einem Haus. Er will der Familie drinnen die Nachricht überbringen, dass deren älteste Tochter sich in einem Fluss das Leben genommen hat. Es entspinnt sich zwischen den Eindringlingen in das Idyll ein Dialog. Die Angehörigen hinter den erleuchteten Fenstern sehen sorglos und friedlich aus, der Alte zögert seine Botschaft deshalb hinaus. Schon aber nähern sich Dorfbewohner dem Haus mit dem Leichnam des Mädchens. Die Familie kann nicht länger verschont werden.
Diese deprimierende Geschichte wird vom französische Regisseur Claude Régy (*1923), der den Text auch bearbeitet hat, mit einem japanischen Ensemble in atemberaubend schlichter Form höchst kunstvoll umgesetzt. Mit diesem Gastspiel aus Paris und Shizuoka (eine Premiere im deutschsprachigen Raum) debütierte er am Sonntag bei den Wiener Festwochen – ein Glanzpunkt des Programms, das scheint bereits kurz nach Eröffnung des Festivals gewiss.
Vor Beginn werden die Zuseher um besondere Ruhe gebeten, noch ehe die zwölf Schauspieler auftreten. Nicht alle halten sich leider an diese Bitte, aber ihren Sinn erfasst man dann sehr rasch. „Intérieur“ ist ein Spiel, das vom Ensemble hohe Konzentration erfordert, aber eben auch vom Publikum eine Art Andacht. Materlinck hat das Drama für Marionetten geschrieben. Ähnlich stilisiert ist die japanische Theaterform Bunraku, die im 17.Jahrhundert in Ōsaka entstand. An ihr orientiert sich laut Régy diese Aufführung. Sie ist konzis, subtil, beklemmend.
Langsame Bewegung, Spuren im Sand
Die Bühne wurde von Sallahdyn Khatir wie eine Schattenwelt gestaltet. Sie lädt zur Meditation ein und betont das Rätselhafte dieses Spiels, das in Finsternis beginnt. Ein schmaler heller Streifen entsteht dann, er symbolisiert das Haus, diffus wirkt der Hintergrund, dunkel der Vordergrund, wo später gesprochen wird. Der Boden besteht aus Sand, dort entstehen nach und nach flüchtige Spuren. Eine Frau und ein Kind bewegen sich, von links kommend, langsam, sodass man das Fortschreiten kaum bemerkt, zur Mitte hin. Dort wird das Kind mit einer rührenden kleinen Geste zur Ruhe gelegt und bleibt auch eineinhalb Stunden in dieser Position, bis zum Ende der Aufführung.
Nach geraumer Zeit erst beginnt auf Japanisch (mit behutsam gesetzten deutschen Übertiteln) der Dialog. „Was tun wir jetzt?“, fragt einer der beiden Beobachter im Dunklen, der die Botschaft überbringen soll. Der Alte (Soichiro Yoshiue) und der Fremde (Yoji Izumi) üben sich im Hinauszögern der Wahrheit. Die Schwestern treten zur Mutter und dem schlafenden Kind hinzu, der Vater. Erst spät wird der Greis die Schwelle des Hauses übertreten, als sich am Rand der Bühne, noch im Dunkeln, die Dorfbewohner zeigen. Mit einer einzigen raschen Bewegung ihres Arms durchbricht nun die Mutter die Ruhe, die Familie geht ab. Nur das Kind liegt noch auf der Bühne. Es wird nicht mehr aufstehen, heißt es. Beim Applaus aber erwacht es gähnend zum Leben. Das wirkt unendlich erleichternd nach so viel Düsternis.
„Intérieur“ ist noch am 13. und 14. Mai um 20:30 Uhr zu sehen, im Museumsquartier in der Halle G.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2014)