Teure Kinder der Spargelstecher

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Die CSU hat ein neues heißes Thema für den Europawahlkampf entdeckt: das Kindergeld für EU-Saisonarbeiter. Auslöser ist eine reißerische Zeitungsschlagzeile.

Berlin. Spargelstechen ist eine harte Arbeit. Nur wenige Deutsche tun sich das an. Jedes Jahr kommen deshalb zehntausende Polen auf die Höfe von Gemüse- und Obstbauern in Ostdeutschland, um hier für einige Monate ihren Unterhalt zu verdienen. Sie sind angemeldete Saisonarbeiter, die auch Steuern zahlen. Also nicht jene EU-„Armutsmigranten“ und „Einwanderer ins Sozialsystem“, über die deutsche Politiker hitzige Debatten führen. Dennoch macht die bayerische CSU die Saisonarbeiter nun zum Thema im Europawahlkampf. Genauer: ihre Kinder. Noch genauer: das Kindergeld, das die Eltern für ihren Nachwuchs beziehen, der gar nicht in Deutschland lebt. „Der Kindergeldtransfer ins Ausland muss ein Ende haben“, poltert CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

Die Erregung hat zwei Auslöser. Zunächst einen juristischen, der schon fast zwei Jahre zurückliegt: Im Sommer 2012 stellte der EuGH fest, dass auch jene EU-Saisonarbeiter in Deutschland Anspruch auf Kindergeld besitzen, die ihre Kleinen in der Heimat gelassen haben. Allfällige Kindergeldbezüge im Herkunftsland sind abzuziehen. Dieses Urteil sorgt nun für späten Wirbel, aufgrund einer reißerischen Schlagzeile der FAZ: „Kindergeld für EU-Ausländer kostet Milliarden“.

Der Titel ist nicht falsch, aber irreführend. Konkret geht es um Saisonarbeiter. Tatsächlich ist der finanzielle Vorteil für viele Osteuropäer verlockend: In Deutschland beträgt das Kindergeld für die beiden ersten Kinder je 184 Euro im Monat – weit mehr als die maximal 20 Euro in Polen oder 30 in Rumänien. Die Differenz macht sich bezahlt. Und weil das Kindergeld bei ausreichendem Lohn nicht ausbezahlt wird, sondern die Einkommensteuer reduziert, haben die Saisonarbeiter durch das Urteil wie bei einer zu viel bezahlten Steuer das Recht, die Beträge für vier Jahre zurückzufordern. Das hat sich rasch herumgesprochen. Die Familienkassen stöhnen unter 30.000 Anträgen, die sich unerledigt stapeln. Die Mehrkosten durch das Urteil summieren sich bis Ende dieses Jahres auf die im FAZ-Titel gemeinte Milliarde.

(Noch) kein Problem in Österreich

Auf ein Jahr gerechnet, sieht es freilich weniger dramatisch aus: 200 Mio. an zusätzlichen Kindergeld-Beträgen, so lautet die plausible Schätzung aus dem Finanzministerium. Nicht viel, verglichen mit den 38,5 Milliarden, die das teuerste familienpolitische Instrument in Summe jährlich kostet. Der Groll richtet sich auch eher gegen das für viele unverständliche Urteil. Die Luxemburger Richter zielten auf die hohen Lebenshaltungskosten für die Eltern ab, die in Deutschland arbeiten. Das hält die CSU für falsch, sie will die Höhe des Kindergeldes an den Lebenskosten am Wohnort der Kinder orientieren.

Warum ist das alles in Österreich kein Thema? Erst in der Vorwoche war aus einer Wifo-Studie zu erfahren, dass Saisonarbeiter hierzulande kaum Ansprüche ans Sozialsystem stellen. Das könnte damit zusammenhängen, dass es in der Mehrzahl um junge Arbeitskräfte in der Gastronomie geht, von denen viele noch keine Kinder haben. Wie aber sieht es in Deutschland mit möglichem Missbrauch aus? Für 660.000 Kinder von EU-Ausländern wird Kindergeld gezahlt, zehn Prozent davon leben in der Heimat. Die Anteile schwanken von nahe null Prozent (etwa bei Italienern oder Kroaten) und den Spitzenreitern: Rumänien (knapp zehn Prozent) und Polen (fast 30 Prozent). Aus diesen beiden Ländern kommen die meisten Saisonarbeiter; sie lassen ihre Kinder typischerweise zuhause (die Zahl der Saisonarbeiter wird wegen der vollen Freizügigkeit nicht mehr erfasst; im Jahr 2007 zählte man übers Jahr 300.000 Bewilligungen). Aber es sind auch nicht wenige Fälle von Missbrauch bekannt: Kinder, die mehrmals gemeldet werden, oder solche, die gar nicht existieren. Dagegen schlägt eine Expertengruppe der Regierung vor, die Anträge strenger zu prüfen.

Bleibt das ungelöste Problem der „Einwanderung ins Sozialsystem“. Das Kindergeld ist meist die einzige Sozialleistung, auf die ein arbeitsloser Einwanderer vom ersten Tag an Anspruch hat. Brüssel hat mehrmals versichert: Berlin darf gegen dadurch drohenden Missbrauch gesetzlich vorgehen, ohne gegen den Geist der Freizügigkeit zu verstoßen. Hier aber hat der EuGH das vorerst letzte Wort noch nicht gesprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2014)

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