Auferstanden aus Kloaken

(c) Wiener Festwochen
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Verstörend, schön, grauenhaft: Matthew Barneys Filmoper "River of Fundament" zeigt Verfall und Wiedergeburt in den USA, samt Norman Mailers Altägypten.

Matthew Barney wird von vielen Investoren für ein Genie gehalten, vielleicht auch deshalb, weil er es wie sonst nur wenige Aktionisten vermag, Exkremente in Gold zu verwandeln. Das ist im Gegensatz zum umgekehrten Prozess hohe Kunst. Ohne sie wäre ein aufwendiger Kinofilm wie „River of Fundament“, der am Mittwoch bei den Wiener Festwochen Österreich-Premiere hatte, nicht denkbar.

Falls dieser Monomane mit seinem „River“ Mainstream werden sollte, könnten künftige Maturanten, statt dürftige Prosa auf Korrektheit abzuhorchen, mit der Analyse folgender Szene aus dem fast sechsstündigen Opus magnum des US-Amerikaners konfrontiert werden: Eine dunkelhäutige, hochschwangere Frau nimmt ihr Glasauge aus der Augenhöhle, sie drückt es einer blonden, hochschwangeren Frau in den Anus. Wie Polyphem blickt ihr Hintern blöd umher. Ist das:

a) totale Unterdrückung?

b) totale Überwachung?

c) die Wiedergeburt Norman Mailers?

d) Matthew Barney pur?
Richtig! Für tolerante Cineasten, die von der stundenlangen Bildermacht, dem musikalischen Mantra, von animistischen Botschaften aus Urzeiten, dem Smalltalk New Yorker Künstler und dem Verfall des industrialisierten Amerika müde geworden sind, stimmen alle vier Antworten – und noch weit mehr. Die Natur erinnert alles! So ähnlich jedenfalls heißt es bei William Butler Yeats in „Ideas of Good and Evil“. Der Autor Norman Mailer hat ein entsprechendes Zitat als Motto für seinen Roman „Ancient Evenings“ (1983) genommen. Dort herrschen altägyptische Mythen, Magie und Wiedergeburt.

Barney wiederum verwendet Mailer als eine von mehreren Schablonen für seine ausufernde Filmoper. Er hat dafür die Wohnung des 2007 verstorbenen Schriftstellers bis ins Detail nachbauen lassen, dort findet eine Art Leichenschmaus statt, an dem Promis wie Jeffrey Eugenides, Lawrence Weiner und Salman Rushdie teilnehmen. Die meisten Gäste sonnen sich im Glanz des Verstorbenen, plappern platte Erinnerungen, während sich bereits Maden über das Essen hermachen. Die Tischgesellschaft, die von Untoten besucht wird, von Pharaonen und Göttern, begleitet den Film fast bis zum Schluss.

Bumm! Dann ist der arme Vogel tot

Es gibt noch einen weiteren Rahmen. Mailer, dieses rabiate Bantamgewicht aus New Jersey, hat Ernest Hemingway verehrt, das Schwergewicht, das sich 1961 in Ketchum/Idaho erschossen hat. Am Anfang geht es in herrlichen Aufnahmen hinaus in die Natur, zu einer Jagdhütte. Ein bärtiger Jäger steckt eine Patrone in den Doppellauf seines Gewehrs, wandert raus in die Wildnis und schießt. Am Ende, nach fast sechs Stunden, gibt es eine Auflösung, die rätseln lässt. Wird im zerfetzten Vogel der Autor von „Across the River and into the Trees“ auferstehen? Doch das ist nur literarischer Zierrat. Im Mittelpunkt des Werkes stehen bizarre Rituale, die auch in „Ancient Nights“ vorkommen. Nach dem durch den Schuss beendeten Idyll geht es hinab in den zu durchquerenden Totenfluss, wo aus Kot und Abwasser ein Wesen hochsteigt, in eine Wohnung, in die Toilette. Dieser verhärmte, vom Regisseur gespielte Mann, greift in die Schüssel, fasst ein dickes Exkrement, wickelt es in Goldfolie. Da steht ein weiterer beschmierter Mann hinter ihm, penetriert ihn. Das setzt den Ton für die völlig verdreckten Figuren Norman I und II.

Osiris gegen Seth, das ist Brutalität

Solche Szenen sind wie jene mit dem Glasauge derart surreal, dass sie auf sensible Menschen zwar abstoßend, aber nicht unbedingt pornografisch wirken müssen. Ein Mann uriniert auf einen Schwefelblock, zischend bildet sich ein Loch, eine Frau macht auf dem Tisch eine Brücke, lässt einen Schwall auf die Tafel regnen. Geburten erfolgen via Rektum. Barney, an einst modischer französischer Post-Analyse geschult, ist darauf offenbar stark fixiert. Der Film, bei dem auch die Musik von Ko-Regisseur Jonathan Bepler zwischen Kitsch und gefühlvoll-rauen Arien pendelt, besteht aber nicht nur aus effektheischenden Facetten. Viel interessanter als durchs aufgesetzt Kreatürliche wird es, wenn der Regisseur Isis, ihre Schwester, Osiris, den eifersüchtigen Seth und Ra wie in einem Zeitlupenthriller in Beziehung setzt, samt Kopulation, Mord und Wiederkunft.

Autos und eine tote Kuh mit Kalb im Leib sind für die Inkarnationen wesentlich. Ein mit Goldfolie ausgekleideter Van wird zur Grabkammer des Pharao. Eine Maschine zerlegt in L. A. einen Chrysler Crown Imperial. Und in einer von mehreren Prozessionen wird ein goldener Pontiac Firebird wie neu geboren durch Detroit geführt. Am verkrusteten, aus dem Fluss geborgen Wrack werden schließlich rituelle Handlungen gesetzt: vier Schlangen, eine göttliche Ermittlerin auf dem Motor – da brummt er wieder.

Schrott, ein Trockendock (Schauplatz für den Kampf der Götter), Frachtkähne, die das Totenreich ansteuern, erzeugen Atmosphäre. Besonders imposant ist eine lange Sequenz mit Hochöfen, aus denen ein tonnenschweres Zeichen gegossen wird. Triumph! Für den Moment. Dann beginnt wieder Verfall. Neben wunderbaren Schauspielern wie Maggie Gyllenhaal, Paul Giamatti oder Ellen Burstyn prägt noch ein unheimlicher Hauptdarsteller das irre Werk: Natur, verwandelt in todgeweihte Industrielandschaften, Kanäle, still gelegte Bahnhöfe. Erweckung versprechen am Ende die Flüsse und die Wälder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2014)

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