Wohngeschichten: „Nicht der Typ für Krimskrams“

Die Frage, ob jemand, der von der Kunst lebt, auch mit Kunstwerken wohnt, wird im Fall der Galeristin Gabriele Senn klar beantwortet.

Schon der Empfang im Haus ist freundlich. Beim Öffnen der Tür, gegenüber der Gabriele-Senn-Galerie in der Wiener Schleifmühlgasse, tritt einem berauschender Blütenduft in die Nase. Die Blumenhandlung im Erdgeschoß teilt ihn über den Stiegenaufgang mit allen Hausbewohnern. Beim Betreten der Wohnung von Gabriele Senn wird man interessiert, aber etwas von oben herab, von einem Raben beäugt. Ein Stück von Mark Dion, aus Plastik, mit Teer überzogen. Vom Badezimmerfenster aus behält der Vogel die Tür im Auge. Wohnt eine Galeristin, die von Berufs wegen täglich mit Kunst zu tun hat, auch inmitten davon? Diese Galeristin tut es, und es ist für sie das einzig Logische. „Ohne Kunst könnte ich gar nicht leben, das wäre für mich unvorstellbar. Hier habe ich Dinge um mich, die ich sehr gern mag, aber ich räume regelmäßig um“, erzählt Senn. Dabei ist alles noch ganz frisch, der Umzug aus dem sechsten Bezirk erst gut ein halbes Jahr her.

Lage als Glücksfall

Die Lage der Wohnung, fast in Wurfweite ihrer Galerie, war ein erfreuliches, aber zufälliges Ergebnis der Wohnungssuche, nicht deren Grund. Zum richtigen Zeitpunkt wurde eben das Richtige frei. Die Gegend schätze sie sehr, besonders die Nähe zum Naschmarkt – zu fast allem eigentlich, die zentrale Lage mitten im vierten Bezirk sei sehr angenehm. Zentral auch im Hinblick auf die Wiener Kreativszene, denn wie die Dorotheer- oder die Eschenbachgasse ist die Schleifmühlgasse ein Sammelbecken für bildende Künstler, ein Zuhause für Gleichgesinnte. „Ich würde nicht allein irgendwo außerhalb sein wollen. Das hier ist schon ein bisschen wie eine Familie.“
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Mitglied dieses Clans war sie wohl schon immer und ist sie spätestens seit ihrer Ausbildung an der Hochschule für angewandte Kunst als Schülerin Oswald Oberhubers. Wie es aber in Familien so ist, müssen oft Grenzen gezogen werden: Trotz der Nähe sind Galerie und private Räumlichkeiten zwei voneinander getrennte Welten. Und wie bei Familien sind diese Grenzen sehr flexibel. Die lichten, fast drei Meter hohen Räumlichkeiten der Wohnung, zum Teil mit Deckenstukkatur verziert und auf einen ruhigen Innenhof ausgerichtet, zeigen überall Spuren der Künstlersippe. An der Wand hinter der Couch hängt eine metallene Dornenkrone, Teil der Edition „Tiefes Kehlchen“ von Martin Kippenberger. Darunter ein Glastisch mit Metallrahmen von Heimo Zobernig.

In einem angrenzenden Raum hängt ein großformatiges Bild von Michael Riedel nebst einem hüfthohen Stoffpilz. „Ein Stück von Cosima von Bonin. Mit ihr verbindet mich sehr viel, gemeinsam haben wir schon einiges erlebt.“ So scheinen viele der Stücke eher Erinnerungen an Freunde und Weggefährten zu sein als Sammlerobjekte im traditionellen Sinn. Die private Gabriele Senn ist auch Besitzerin eines Sofas und acht Stühlen von Franz West, einem ehemaligen Arbeitskollegen. „Schließlich sind sie ja dafür gemacht, dass man sich draufsetzt. Sie sind sehr bequem und robust. Natürlich muss man auf Kunst aufpassen, aber ich kenne das ja nicht anders“, so Senn.

Tatsächlich macht nichts im Hause Senn einen musealen Eindruck, die Objekte sind Teil des Alltags. Eine Galeristin nach ihrem Lieblingsstück zu fragen ist wie einen DJ nach seinem Lieblingslied. Alle würden ihr sehr am Herzen liegen, sagt sie. Und doch scheint es etwas zu geben, das besonders besonders ist – und zeigt, wie verwoben die Kunst und die Privatsphäre sind: In einer Ecke hängt ein altes Kinderfoto ihrer Tochter Katharina, in einer Collage mit einem Schriftstück von Franz West, eine Art „kleiner Altar“.

Kein Stück von der Stange

Zwischen vereinzelten Heiligtümern und zahlreichen Perlen ist kein Stück von der Stange auszumachen. „Aus dem Möbelhaus stammt hier gar nichts, allerdings ist das keine bewusste Entscheidung. Ich mag es einfach nicht, allzu viele Dinge um mich zu haben, bin nicht der Typ für Krimskrams“, sagt Senn, und der viele Raum in den Räumen bestätigt diese Aussage. Wichtig sei lediglich, von Dingen umgeben zu sein, die sie mag. „Hier hab ich die Kunst, die ich liebe, mehr brauch ich nicht. Da bin ich sehr genügsam.“

Zur Person

Gabriele Senn ist seit 1997 als Galeristin tätig und seit 2008 Präsidentin des österreichischen Galerienverbandes. In ihrer Galerie für zeitgenössische Kunst in der Schleifmühlgasse in 1040 Wien fanden zuletzt Ausstellungen von Cäcilia Brown, Kathi Hofer und Michael Riedel statt. Im Rahmen des „Gallery Weekend“ an diesem Wochenende ist der Maler Tomasz Kowalski zu sehen, heute Samstag gibt's eine Führung mit Rüdiger Andorfer. www.galeriesenn.at, http://2014.viennagalleryweekend.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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