Ohne eine gemeinsame Energiepolitik wird die Europäische Union nie unabhängig.
Wien. Algerien! Glaubt man dem spanischen Außenminister José Manuel García-Margallo, dann ist der nordafrikanische Staat die Lösung für jenes Problem der EU, das durch die Krim-Krise wieder akut geworden ist. Mit billigen Gaslieferungen aus Algerien könnte die Europäische Union ihre Abhängigkeit von Russland minimieren, so die Idee. Doch die Sache hat einen Haken, und dieser liegt in der EU selbst begraben: Nur weil das Gas in Spanien landet, heißt es noch lange nicht, dass es auch in den Osten des Kontinents gelangt. Denn an der dafür nötigen Verlängerung der Gasleitungen über die Pyrenäen hatte Spaniens Nachbar Frankreich bisher kaum Interesse.
Die Krise in der Ukraine macht eine klaffende Wunde der EU deutlich: Die Europäische Union hat immer noch keine gemeinsame Energiepolitik. Woher die EU-Bürger ihre Energie beziehen, ob und wie viel sie dafür an Förderungen bezahlen und welche Leitungen sie bauen, entscheiden immer noch die 28 Mitgliedsländer selbst. Die zentralen Anstrengungen aus Brüssel gehen über das Verbot von Kaffeemaschinen und Glühbirnen kaum hinaus. Vom versprochenen einheitlichen Energiemarkt ist hingegen nicht viel zu sehen. Die fehlende Gasleitung über die Pyrenäen ist da nur ein Beispiel. Auch bedeutende Stromtrassen machen oft kurz vor den Ländergrenzen halt.
Gemeinsam wird es billiger
Die Folgen der fehlenden EU-Energiepolitik zeigte sich zuletzt etwa im Zaudern Brüssels, als es darum ging, den Bau der Nabucco-Pipeline, die Gas aus Zentralasien nach Europa bringen sollte, zu forcieren. Heute ist das einstige Prestigeprojekt tot und die EU weiter abhängig von russischem Öl und Gas. So kann es nicht weitergehen. Staaten wie Großbritannien oder Polen fordern längst eine neue Energiepolitik. Polens Präsident Donald Tusk macht sich für eine Energieunion stark, die vor allem ein Ziel haben soll: die Verhandlungsmacht des weltweit größten Binnenmarkts zu bündeln und einheitliche Preise für Erdgaslieferungen aus Russland durchzusetzen. Derzeit verhandeln alle EU-Staaten für sich und erzielen dabei unterschiedliche Preise, die oft politische Hintergründe haben. So zahlen manche osteuropäische Staaten mehr als Österreich.
Aber der Gasmarkt ist nur ein Bereich, in dem es hapert. Auch auf dem Strommarkt sehnen sich Unternehmen nach einheitlichen Regeln, um die Verzerrungen, die durch die Energiewende entstanden sind, wieder zu glätten. Die Entscheidung Deutschlands, plötzlich aus der Atomkraft auszusteigen und Erneuerbare massiv zu fördern, hatte große Folgen für die angrenzenden Staaten. So drohte etwa Polen mehrfach damit, sein nationales Stromnetz abzuschotten, weil es die mitunter gewaltigen Stromlieferungen der deutschen Hochseewindparks nicht mehr aufnehmen kann.
Einen ersten Vorstoß in Richtung Harmonisierung hat die EU-Kommission im Frühling gemacht. Die Beihilfen für erneuerbare Energieträger sollen nicht mehr in Form von fixen Einspeisetarifen von den Ländern vergeben werden. Stattdessen fordert Brüssel EU-weite Ausschreibungen für CO2-freie Stromerzeugung. Damit stünden spanische Solarparks in Konkurrenz mit deutschen Windfarmen oder britischen AKW. Auch wenn die Ökostrombranche bereits vor dem Ausverkauf der Energiewende an die Multis warnt, eines könnte der Vorstoß doch bringen: geringere Kosten für den grünen Umbau des europäischen Energiesystems. Denn wenn die nationalen Regierungen „ihren“ Wählern hier kein Geld mehr zuschieben können, ist der Anreiz, mehr Förderung als notwendig zu verteilen, endlich dahin.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)