Türkei: Straßenschlachten in Bergwerksstadt

Türkei, Protest, Soma
Türkei, Protest, Soma(c) REUTERS (STRINGER/TURKEY)
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Mehr als 300 Bergleute starben im Kohlebergwerk Soma. Die Polizei ging mit Tränengas gegen tausende Bewohner der Stadt vor, die gegen Regierung protestierten.

Soma/Ankara. Beim schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei sind nach offiziellen Angaben insgesamt bis zu 302 Menschen umgekommen. Unter Tag seien höchstens noch 18 Bergleute eingeschlossen, sagte Energieminister Taner Yildiz am Freitag, nachdem 284 Kumpel tot geborgen worden sind.

Die Ursache der Katastrophe in der Stadt Soma im Westen des Landes blieb auch drei Tage nach dem Unglück unklar. Der Grubenbetreiber Soma Holding erklärte, wegen der Hitzeentwicklung sei ein Teil des Bergwerks eingestürzt. Das Unternehmen wie auch die regierende AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan wiesen Vorwürfe mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen und Fehlverhaltens zurück.

Doch die Regierung gerät wegen des Unglücks zunehmend unter Druck. In Soma gingen am Freitagnachmittag tausende Menschen auf die Straße, um zu protestieren. Die Polizei setzte massiv Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein.

Zum Zeitpunkt des Unglücks am Dienstag arbeiteten nach Angaben des Unternehmens 787 Kumpel in dem Kohlebergwerk. Wegen eines Brandes fiel der Strom aus, sodass auch Förderkörbe und die Belüftung nicht mehr funktionierten. Viele Arbeiter erstickten. 363 Kumpel seien weitgehend unverletzt aus dem Bergwerk gerettet worden.

Weitere 122 Bergleute seien verletzt in Krankenhäuser gebracht worden, teilte das Bergwerksunternehmen mit. „Wir haben bei diesem Vorfall nicht fahrlässig gehandelt. Wir alle waren mit Leib und Seele dabei“, sagte Bergwerksdirektor Akin Celik.

Erdoğan ohrfeigt Angehörige

Der Chef der Soma-Bergwerksholding, Alp Gürkan, sagte am Freitag, es handle sich um einen unfassbaren Unfall. In den vergangenen 30 Jahren habe es in dem Bergwerk nur wenige Vorfälle gegeben. Dort arbeiteten die besten und zuverlässigsten Bergleute. „Seit 2009 ist das Bergwerk elfmal gründlich überprüft worden“, sagte auch ein Sprecher der regierenden AK-Partei bei einer Pressekonferenz in Ankara.

Das Image der Partei und der Regierung hat zuletzt stark gelitten: Bei seinem Besuch in Soma soll Premier Erdoğan zwei Passanten tätlich angegriffen haben. Ein Opfer sei ein 15-jähriges Mädchen gewesen, berichteten die Zeitung „Evrensel“ und andere Medien am Freitag. Das Kind sei Tochter eines Todesopfers des Grubenunglücks und habe Erdoğan in Soma als „Mörder“ ihres Vaters beschimpft. Erdoğan habe zudem einen Bergmann geschlagen und als „Ausgeburt Israels“ beschimpft.

Schon am Mittwoch hat der Premier die Menschen mit der Äußerung aufgebracht, dies sei ein Arbeitsunfall, wie er dauernd überall auf der Welt passiere. Für Empörung sorgte auch ein Foto, auf dem ein Erdoğan-Berater auf einen Demonstranten eintritt. Das Foto verbreitete sich über soziale Medien wie Twitter in der ganzen Welt. Der Berater äußerte später sein Bedauern.

Die Türkei, die in den vergangenen Jahren einen rasanten Wirtschaftsaufschwung erlebte, liegt beim Arbeitnehmerschutz im internationalen Vergleich auf den letzten Rängen.  (ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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