Eurokrise: "Griechenland braucht neue Hilfe"

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Die Eurokrise ist noch lange nicht vorbei, sagt Joachim Scheide vom deutschen IFW. Die aktuelle Entspannung berge vielmehr das Risiko, dass der Reformeifer erlahmt.

Die Presse: Spanien und Irland haben den Rettungsschirm schon verlassen. Morgen folgt Portugal. Ist die Eurokrise vorbei?

Joachim Scheide: Das kann man keinesfalls sagen. Das wäre sehr voreilig. Wir haben nach wie vor ein großes Problem bei der Staatsverschuldung. Und auch, wenn die akuten Rettungsmaßnahmen auslaufen, ist die Politik immer noch nicht auf Kurs. Die Verschuldung ist in vielen Ländern noch nicht nachhaltig.

Einige Reformen wurden ja gemacht – etwa in Griechenland die Arbeitsmarktreform. War das noch nicht genug?

Die Reformen sind einfach noch nicht ausreichend, um auf einen langfristigen Wachstumspfad zurückzukehren. Und wenn die Länder schrumpfen oder lediglich stagnieren, dann werden auch die Verschuldungsquoten wieder ansteigen. Die meisten Länder haben zwar bei der Produktion die Kurve gekriegt, sie sinkt also nicht mehr. Aber ein nachhaltiger Aufschwung ist nach wie vor nicht in Sicht.

Was müsste konkret passieren?

Die Kernprobleme sind das Steuersystem, die Investitionsanreize und der Arbeitsmarkt, der in vielen südlichen Ländern sehr unflexibel ist. Da müssen Reformen gemacht werden, auch wenn sie schmerzhaft sind. Wir in Deutschland haben das auch durchgezogen – trotz Demonstrationen auf der Straße. Heute ernten wir die Früchte davon. Zusätzlich lässt auch der Spareifer nach. Ein Grund dafür ist, dass die EZB eingesprungen ist und gesagt hat, sie kauft im Notfall Staatsanleihen auf. Dadurch wurde der Reformdruck genommen. Das sieht man gut in Frankreich, wo der Zeitpunkt jetzt erneut verschoben wurde, zu dem die Dreiprozentgrenze bei der Neuverschuldung unterschritten werden soll. In Frankreich liegt das Defizit seit acht Jahren in Folge über drei Prozent. Und das ohne echte Krise.

Ist die Politik also wieder bequem geworden, nachdem der Druck von den Finanzmärkten schwächer geworden ist?

Ja, hätten wir zum Beispiel Zinsen von acht Prozent und mehr für Italien gehabt, dann hätte man wesentlich mehr reformiert. Jetzt lässt der Eifer aber nach und das kann sich noch rächen. Gibt es einen neuerlichen konjunkturellen Schock, wäre er nur sehr schwer zu verkraften.

Sind es also gar nicht mehr Irland oder Portugal, die uns Sorgen machen sollten, sondern Italien und Frankreich, die den Defizitpakt aufweichen wollen?

Auf jeden Fall. Das sind nicht nur die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft Europas. Es sind auch Länder, die nicht genügend reformieren und bereits am Rand einer Stagnation stehen. Vor allem die Töne aus diesen Ländern sollten Sorgen bereiten. So wollen sie eine Geldpolitik, in der die EZB grundsätzlich Staatsanleihen in großem Umfang aufkauft. Das ist ziemlich weit weg von dem, worauf man sich bei der Euro-Einführung geeinigt hat.

Manche Ökonomen argumentieren, dass durch zu viel Sparen das Wachstum abgewürgt werde.

Das klingt auf den ersten Blick alles sehr gut. Aber Wachstum entsteht nicht dadurch, dass der Staat besonders aktiv ist. Das Wachstum muss aus der Privatwirtschaft kommen: Ein Land muss wieder für Investoren attraktiv werden. Es ist wie bei einem Garten, in dem es viel Unkraut gibt. Das Unkraut behindert das Wachstum der Nutzpflanzen. Daher hilft es nicht, wenn man einfach Dünger draufgibt. Man muss zuerst das Unkraut ausreißen. Und beim Arbeitsmarkt heißt das auch gar nicht, dass der Staat dafür Geld in die Hand nehmen muss. Er muss vor allem Rahmenbedingungen schaffen, die es für Private wieder attraktiv machen, ihr Geld zu investieren.

Kann ein Land wie Griechenland mit einer Staatsverschuldung von rund 170 Prozent überhaupt zurechtkommen?

Griechenland ist sicherlich ein Beispiel dafür, dass es nicht funktioniert. Es ist auch gar nicht sinnvoll, dass die Griechen versuchen, das allein zu stemmen. Griechenland muss also sicher noch einen Schuldenschnitt haben. Aber die Politik ziert sich noch, weil das negative Konsequenzen hätte. Bei den anderen Ländern glaube ich, dass es möglich ist. Aber nur, wenn die Länder über Jahre hindurch ihren Reformkurs einhalten und ihn nicht sofort wieder aufweichen, sobald die Lage etwas ruhiger ist.

Ein drittes Hilfspaket für Griechenland wurde ja nach der deutschen Wahl erwartet. Warum ist bisher noch nichts gekommen?

Irgendeine Wahl gibt es immer, auf die Rücksicht genommen wird. Jetzt etwa die EU-Wahl. Irgendwann werden wir aber Farbe bekennen müssen. Griechenland kommt ohne Hilfe von außen einfach nicht auf die Beine.

Entscheidend für die Staatsfinanzen ist ja auch das Wirtschaftswachstum. Die Prognosen sind optimistischer, je weiter in der Zukunft sie liegen. Wann wird es wieder zu einem echten Wachstum kommen?

Einen echten Aufschwung, der auch zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit führt, den wird es in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht geben. Da bin ich pessimistisch. Dafür gibt es noch zu viele Probleme.

Manche Ökonomen sagen, wir werden in der EU überhaupt nie mehr ein Wachstum über zwei Prozent sehen, das für die nachhaltige Senkung der Arbeitslosigkeit notwendig ist.

Das ist vielleicht etwas zu pessimistisch. Wenn die Politik die entscheidenden Maßnahmen setzt, dann ist es schon möglich, dass man die Kurve kriegt. Aber ich sehe diese Politik derzeit nicht.

Bislang hat ja vor allem Deutschland – mit Unterstützung von ein paar kleineren Ländern wie Österreich – die Krise gestemmt. Zuletzt mehren sich die Anzeichen, dass auch in Berlin, wie schon lange in Wien, die Reformfaulheit eingekehrt ist. Droht hier auch Gefahr?

Das ist eine ganz reale Gefahr. Es gibt vielleicht noch zwei bis drei gute Jahre für Deutschland, in denen die niedrigen Zinsen die Konjunktur anschieben. Aber bei den Reformen passiert etwa bei der Rente zurzeit genau das Gegenteil von dem, was sinnvoll wäre (Senkung des Antrittsalters auf 63, Anm.) und was wir auch von den anderen Ländern einfordern. Man geht absichtlich in die falsche Richtung. Die Bundesregierung ist offenbar geblendet von der guten Konjunktur.

Warum reagiert die Politik eigentlich nicht auf Forderungen, die unisono von allen Ökonomen aufgestellt werden – etwa Reformen bei Pensions- und Gesundheitswesen?

Richtige Reformen – so zeigt die Erfahrung – werden immer erst in einer Krise gemacht. Zur Jahrtausendwende ging es uns in Deutschland ganz dreckig. Daher wurde reformiert. Und es dürfte auch diesmal nicht anders sein. Zurzeit erfreuen wir uns in Deutschland an der guten Konjunktur, die besser läuft als in den anderen EU-Ländern. Das wird uns irgendwann aber noch einmal um die Ohren fliegen.

ZUR PERSON

Joachim Scheide (Jahrgang 1949) leitet seit dem Jahr 2005 das Prognosezentrum am deutschen Institut für Weltwirtschaft (IFW) in Kiel. In dieser Funktion ist Scheide etwa an der Erstellung der deutschen Konjunkturprognosen beteiligt. Das IFW ist neben dem Berliner DIW und dem Münchner IFO das bekannteste Wirtschaftsforschungsinstitut in Deutschland. [ ifW ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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