Cannes: YSL versus DSK

FRANCE CANNES FILM FESTIVAL 2014
FRANCE CANNES FILM FESTIVAL 2014APA/EPA/CANNES FILM FESTIVAL / H
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Im Wettbewerb von Cannes wurde Samstag der zweite und wesentlich bessere Film dieses Jahres über Yves Saint Laurent vorgestellt. Helmut Berger brilliert in einer Altersrolle.

Nur Helmut Berger sei infrage gekommen, als es darum ging, den Modezaren YSL als gealterten Mann in seiner Filmbiografie „Saint Laurent“ zu besetzen, erklärt Regisseur Bertrand Bonello am Samstag vor der großen Abendgala seines Werks bei der Pressekonferenz in Cannes. Die kleine, aber entscheidende Rolle des österreichischen Altstars ist der zweite heimische Auftritt in Cannes heuer nach der Premiere von Jessica Hausners Kleist-Film „Amour fou“ – und ein Triumph: Gut eine Viertelstunde vor dem Ende von Bonellos zweieinhalbstündigem Epos bietet Berger die virtuose Verkörperung eines verlebten Genies. Was ja auch auf Helmut Berger selbst zutrifft, wie Bonello mit einem kühnen Einfall unterstreicht: Er lässt Berger als Yves Saint Laurent im Fernsehen eine Szene mit Berger selbst aus Luchino Viscontis Klassiker „Die Verdammten“ ansehen.

Berger spielt YSL im Jahr 1989, als er zwar noch aktiv ist, aber von der veränderten Welt rund um sich eigentlich völlig abgeschnitten: Sein Unternehmen ist gerade an die Börse gegangen, die Mode wird inzwischen von Designern wie Jean-Paul Gautier dominiert – „bei dem geht es um Comics, bei dir ging es um Proust“, sagt eine alte Freundin traurig. Bonellos durch die Zeit springender Film offenbart sich da endgültig als der Versuch, „aus dem Geist eines Schöpfers“ zu erzählen, wie der Regisseur es bei der Pressekonferenz formuliert: Was bis dahin geschehen ist, kann man sich als assoziative Erinnerungs-Flashbacks des alten YSL vorstellen. Der Schwerpunkt von „Saint Laurent“ liegt nämlich auf der Dekade von 1967 bis 1976, als sich Yves Saint Laurent mit kreativem Elan in seine Arbeit stürzt, mit gefeierten Konfektionslinien wie seiner russischen Kollektion zum Star wird – und schließlich zur Marke YSL, womit aber die Entfremdung von seinen künstlerischen Ambitionen endgültig besiegelt ist. Es ist auch die Zeit, in der YSL „genauso ausgesehen hat wie der junge Berger“, erklärt Bonello seinen Besetzungscoup: Den jungen Modeschöpfer spielt Gaspard Ulliel und der Übergang zu Berger funktioniert nahtlos – während die (französisch synchronisierte) Stimme dieselbe bleibt, ist der Körper gealtert.

„Vom Dokumentarfilm zur großen Oper“ war Bonellos Anlage des Stoffs (auch dazu passt sein Visconti-Zitat): Statt linearer Erzählung gibt es Szenenfolgen unterschiedlichster Länge, entlang von Kontrasten gebaut – „von Tag zu Nacht oder von Morbidität zu Komik“, erklärt der Regisseur. YSL beim Zeichnen im Studio und beim Cruising in Heckenlabyrinthen, beim bekifften Entspannen in seiner Marrakesch-Villa und bei schwulen Orgien in Paris (samt Besuch einer Feuerwehrbrigade!), beim Arrangieren der Kunstgegenstände für seine Wohnung und bei Ausfällen nach zunehmendem Medikamentenmissbrauch – der erste seiner geliebten Hunde verendet auf dem Boden, weil er die Tabletten aufschleckt, die sein ohnmächtiges Herrchen fallen ließ.

YSL: Kein Skandal. Aber Bonello ist an keiner Skandalbiografie interessiert: „Alle Details sind der Öffentlichkeit längst bekannt.“ Sondern an Prozessen: Der Wandel der Gesellschaft (in Split Screen setzt er 68er-Unruhen neben die Präsentation der damaligen YSL-Kollektion), die künstlerische Entwicklung (insbesondere der Einfluss von Malerei: Bei einer späteren Modenschau ist das Bild im Stile von Mondrians geometrischen Kompositionen zerlegt, dazu erklingt eine Callas-Arie), die psychischen Probleme – trotz aller Erfolge wächst in YSL das Gefühl der Leere. Insgesamt ist es ein bisschen zu viel des Guten: Trotz der sinnlichen Bilder und originellen Ideen hätte man sich mehr Verdichtung gewünscht. Aber Bonello sagt, ihm ginge es um das „Verwischen der Zeit“, und bekennt seine Liebe zur Dekadenz (der er zuletzt im Historienfilm „L'Apollonide – Das Haus der Sünde“ huldigte). Doch die (Über-)Ambition ist willkommen nach dem nichtssagenden Biopic „Yves Saint Laurent“, das bereits in die Kinos kam und viel vom gleichen Material in uninspirierter Hagiografie versenkte, mit dem Segen von Laurents Langzeitpartner Pierre Bergé (bei Bonello von Jérémie Renier sympathisch verkörpert). Den Segen hat der zweite Saint-Laurent-Film nicht: Denn man wollte die Dinge „in aller Freiheit“ angehen, sagt Bonello.


DSK: Skandal. Über die Frage der künstlerischen Freiheit wird auch bei einem anderen Film diskutiert, den das Festival abgelehnt hat – wegen direkten politischen Drucks, wie Insider behaupten. Mit „Welcome to New York“ hat der US-Maverick Abel Ferrara einen Schlüsselfilm über den Sexskandal gemacht, der den französischen Politiker und möglichen Präsidentschaftskandidaten Dominique Strauss-Kahn zu Fall brachte, und mit Gérard Depardieu einen so imposanten wie prominenten Darsteller für die Rolle gefunden. Nachdem der Film nicht in die offizielle Selektion von Cannes aufgenommen wurde, hat die Produktionsfirma für Samstagabend eine Premiere auf dem parallel stattfindenden Markt anberaumt – um den Film dann sofort als Video-on-Demand im Internet anzubieten, in Frankreich und einigen weiteren europäischen Territorien, darunter Deutschland, aber offenbar nicht im in dieser Hinsicht arg rückständigen Österreich. Es ist auch eine Protestaktion des Verleihs gegen die als rückständig empfundene französische Gesetzgebung, die solche VoD-Veröffentlichungen erst vier Monate nach dem Kinostart erlaubt, während in den USA und anderswo gleichzeitige Starts in Kino und Netz üblich und ökonomisch notwendig sind.

Der Schatten digitaler Distribution liegt auch uneingestanden über der Zukunft von Festivals wie Cannes: Wie lange wird ihre Exklusivität noch halten? Aber noch ist nicht alles digital: Bonello erzählt, dass er auf 35-mm-Film gedreht hat, um die Sinnlichkeit der Siebzigerjahre und der YSL-Mode einzufangen: Entgegen anderslautender Behauptungen sei das nicht wirklich viel teurer – und „einen digitalen YSL kann ich mir gar nicht vorstellen“.

Zur person

1936. Am 1. August kommt Yves Henri Donat Mathieu-Saint-Laurent in Oran in Algerien zur Welt.

1953. Noch von Algerien aus erreicht Saint Laurent bei einem Modewettbewerb den dritten Platz und geht nach Paris. Bald darauf arbeitet er bei Dior.

1960. Saint Laurent beginnt unter eigenem Namen zu präsentieren und wird bald zum Skandalstar („Nude Look“).

1983.YSL wird als erster Modedesigner im New Yorker Metropolitan Museum of Art ausgestellt.

2008. Sechs Jahre nach seinem Rückzug aus der Modebranche stirbt der angeschlagene YSL.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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