Von cissexuell bis Transvestit: Die Spielarten der Geschlechter

SPAIN CARNIVAL DRAG QUEEN
SPAIN CARNIVAL DRAG QUEENAPA/EPA/ELVIRA URQUIJO A.
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Der Sieg von Conchita Wurst beim Songcontest hat nicht nur eine Diskussion über die Akzeptanz von Homosexualität ausgelöst, sondern eine breite Öffentlichkeit auch mit verwirrenden Begrifflichkeiten konfrontiert.

This moment is so much bigger than me“, schluchzte eine aufgelöste Halle Berry, als sie 2002 als erste farbige Schauspielerin mit einem Oscar für ihre Hauptrolle in „Monster's Ball“ ausgezeichnet wurde. „It's for every nameless, faceless woman of colour that now has a chance because this door tonight has been opened“, fuhr sie fort und sorgte für Gänsehautstimmung im Dolby Theatre in Los Angeles.

Ähnlich war es vergangenen Samstag wohl auch für Conchita Wurst. Als sie ihren Sieg beim Songcontest all jenen widmete, „who believe in a future of peace and freedom. We are unity. And we are unstoppable.“ Diese Parole rief die 25-Jährige, die nach Feierabend Thomas Neuwirth heißt und Damen- und Herrenkleidermacher gelernt hat, ins Publikum. Gerichtet war ihre Botschaft nicht nur an Wladimir Putins homosexuellenfeindliche Gesetzgebung, sondern „an alle homophoben Menschen auf der Welt“, wie sie später präzisierte. Dass ihr Sieg auch eine gesellschaftspolitische Dimension hat, davon schwärmten dann auch Fans, Aktivisten und Politiker. „Was Tom Neuwirth mit seiner Kunstfigur erreicht hat, kann man als Aktivist nie erreichen“, sagt etwa Christian Högl, Obmann der Wiener Homosexuellen-Initiative.

Conchita Wurst hat aber noch etwas geschafft, woran viele Aktivisten bisher gescheitert sind – nämlich die vielen Spielarten der Geschlechter in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Deren Mannigfaltigkeit verwirrt offenbar vor allem Cissexuelle – also Menschen, die sich mit ihrem biologisch angeborenen Geschlecht wohl fühlen. Im Gegensatz zu Transsexuellen – Männer und Frauen, die sich ihrem anatomischen Geschlecht nicht zugehörig fühlen und im Laufe ihres Lebens ihre Geschlechtsidentität wechseln, durch hormonelle Behandlung und/oder mit einer entsprechenden Operation. Eine Unterkategorie davon ist Intersexualität. Der Unterschied: Intersexuelle können aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Begrifflichkeiten, die unterschiedliche Geschlechtsidentitäten beschreiben. Conchita Wurst selbst ist eine Dragqueen bzw. ein Travestiekünstler – per Definition ein (zumeist schwuler) Mann, der sich von Zeit zu Zeit als überzeichnete bzw. schrille Frau verkleidet. Sämtliche Phänomene, bei denen Geschlechtergrenzen überschritten werden, fasst man wiederum unter dem Überbegriff Transgender zusammen.


540 Geschlechtsumwandlungen.
In der Transsexuellen-Ambulanz der Meduni Wien wurden im Jahr 2013 (hormonell und/oder operativ) 540 Personen bei ihrer Geschlechtsumwandlung betreut – 340 von Mann zu Frau, 200 von Frau zu Mann. Pro Jahr werden beispielsweise rund ein Dutzend Frauen zu Männern umoperiert.

„Transsexualität ist ein großes gesellschaftliches Phänomen, das in der öffentlichen Diskussion bisher ein Tabuthema war“, sagt Christian Egarter, Leiter der für die Ambulanz zuständigen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. „Es wird höchste Zeit, dass darüber gesprochen wird.“ Transsexualität – wie im Übrigen auch Homosexualität – wird Egarter zufolge in der Wissenschaft mittlerweile als genetisch bedingt betrachtet. Nichts davon kann also durch eine Verhaltenstherapie „geheilt“ werden. Deswegen werden Geschlechtsumwandlungen auch von der Krankenkasse bezahlt. „Unsere Erfahrungen haben sogar gezeigt, dass das Nichterkennen bzw. Unterdrücken von Transsexualität zu psychiatrischen Krankheitsbildern bis hin zu Suizid führen kann“, sagt Egarter. „Aus medizinischer Sicht werden die besten Ergebnisse sogar dann erzielt, wenn die Behandlung präpubertär erfolgt – also noch bevor die sekundären Geschlechtsteile ausgewachsen sind.“ Diese Vorgehensweise sei aber umstritten, da man von 13-, 14-jährigen Kindern verlange, die Verantwortung für so einen weitreichenden, irreversiblen Eingriff zu übernehmen. „Deshalb führen wir diese Operationen nicht durch.“


Politik reagiert. Unumstritten ist hingegen, dass Conchita Wursts Sieg viel zur Stärkung der Rechte von Transgender-Personen beitragen wird. Das Unterrichtsministerium beispielsweise reagierte bereits und will künftig die Ausstellung von Zweitzeugnissen für Transgender-Personen erleichtern. In einem Schreiben an alle Landesschulräte und an den Stadtschulrat Wien wurden Schulen aufgefordert, dass diesen Personen auf deren Wunsch ein dem neuen Geschlecht entsprechendes Duplikat ausgestellt werden muss. Durch diese Maßnahme sollen sie bei Bewerbungen besser vor Diskriminierung geschützt werden.

Einen (großen) Schritt weiter geht Australien. Dort entschied vor Kurzem ein Gericht, dass ein Mensch in amtlichen Formularen – etwa von Standesämtern – nicht als männlich oder weiblich eingeordnet werden muss. In Pässen können Australier bereits seit geraumer Zeit ein drittes Geschlecht angeben. Die Richtlinien des Außenministeriums erlauben ein X für „intersexuell“ neben dem herkömmlichen M (männlich) und F (weiblich).

In der virtuellen Welt sind sogar noch mehr Geschlechterangaben möglich. Seit Mitte Februar bietet Facebook in den USA mehr als 50 Optionen an, um das eigene Geschlecht zu definieren. US-Amerikaner können nun zwischen „androgyn“, „transsexuell“, „intersexuell“ und vielen weiteren Optionen wählen. Zudem können die Benutzer entscheiden, ob sie als „him“, „her“ oder „them“ angesprochen werden möchten. Facebook arbeitet derzeit an der Umsetzung des Features für andere Sprachen.

Beflügelt von Conchita Wurst unterstreicht auch der Life Ball 2014 mit einem provokanten Plakat seine zentrale Botschaft der Toleranz und Akzeptanz. Starfotograf David LaChapelle inszenierte das Transgender-Model Carmen Carrera unter dem Motto „Ich bin Adam – Ich bin Eva – Ich bin ich“ nackt in einem „Garten der Lüste“ – sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Geschlechtsteilen. „In dem Bild geht es nicht um Sexualität. Es geht um Identität und darum, dass es für die menschliche Würde und gegenseitigen Respekt keine Grenzen gibt“, sagt Life-Ball-Organisator Gery Keszler. Dass das Plakat provozieren wird, nimmt er gerne in Kauf. Keszler: „Wir hoffen es sogar.“

In Zahlen

Umwandlung. In der Transsexuellen-Ambulanz der MedUni Wien wurden 2013 (hormonell und/oder operativ) 540 Personen bei ihrer Geschlechtsumwandlung betreut – 340 von Mann zu Frau, 200 von Frau zu Mann. Pro Jahr werden beispielsweise rund ein Dutzend Frauen zu Männern umoperiert.

Begriffslexikon

Transsexuelle: Menschen, die sich nicht ihrem anatomischen Geschlecht zugehörig fühlen und im Laufe ihres Lebens ihre Geschlechtsidentität wechseln – mit (postoperative Transsexuelle) oder ohne (präoperative Transsexuelle) entsprechende Operation. Ein Beispiel für eine Transsexuelle mit Operation ist die israelische Sängerin Dana International, die 1998 mit dem Lied „Diva“ den Songcontest gewann.

Cissexuelle: Das Gegenbild zur Transsexualität, also Menschen, die sich mit ihrem biologisch angeborenen Geschlecht ident fühlen.

Transgender: Überbegriff für Menschen, die transsexuell oder nicht eindeutig einem Geschlecht zugehörig sind, herkömmliche Geschlechtergrenzen also überschreiten.

Intersexuelle: Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können – was sich sowohl auf die Geschlechtschromosomen, die primären oder sekundären Geschlechtsorgane oder die Geschlechtshormone beziehen kann. Veraltete Begriffe hierfür waren Zwitter oder Hermaphrodit. Beispiel für einen Intersexuellen: Skirennläuferin Erika Schinegger, die heute (nach einer Operation) als Mann (Erik Schinegger) lebt.

Transvestit: Beinhaltet den lateinischen Wortkern „vestire“ (kleiden) und bezeichnet meist einen Mann, der sich temporär als Frau verkleidet – kann, muss aber keine sexuelle Komponente haben.

Dragqueen: Männer, die sich mit explizit weiblicher Kleidung als überzeichnete bzw. schrille Frauen stylen. Conchita Wurst alias Thomas Neuwirth ist eine Dragqueen (allerdings eine mit Bart).

Dragking: Frauen, die in typisch männlicher Kleidung und maskulinem Styling stereotype männliche Attitüden imitieren.

Queer: Aus dem englischen Sprachraum kommender Überbegriff für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender.

Gender: Damit wird das soziale – im Gegensatz zum biologischen – Geschlecht bezeichnet.

Buch

„Fe-Male. Hinein in den richtigen Körper“. Hannah Winkler hat ihre Geschichte aufgeschrieben.

288 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2014.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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