Aus Dennis wurde Hannah: "Ich will Mann und Kinder"

Hannah Winkler
Hannah Winkler Die Presse
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Hannah Winkler wurde als Bub geboren und fühlte sich doch als Mädchen. In einem Buch beschreibt die 25-Jährige ihren Leidensweg. Von Umpolungsversuchen in Italien und ihrem dann doch sehr glücklichen Ende.

Hannah Winkler wurde als der Bub Dennis geboren und wollte doch immer ein Mädchen sein. Mit 14 Jahren beginnt sich die Deutsche gegen ihr Schicksal aufzulehnen. Gegen alle Widerstände. Dafür muss sie ihre Familie verlassen (Winklers Vater versteht sie nicht) und erlebt unzählige Schikanen in der Schule und seitens der Behörden. Bis sie – mit der Unterstützung eines Therapeuten – siegt. Vor Gericht erreicht Winkler die Durchsetzung ihrer Therapie. Mit 18 lässt sie sich zur Frau operieren. Nun hat sie ein Buch über sich geschrieben.

Mittlerweile ist es sieben Jahre her, dass Sie die Operation hinter sich haben. Jetzt haben Sie ein Buch geschrieben. Warum war es für Sie ein Bedürfnis, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?

Menschen wie ich werden permanent als psychisch krank abgestempelt und gerade von den Medien komplett falsch dargestellt. Wir werden gern mit „Transgender“-Menschen und „Transsexuellen“ in einen Topf geworfen, obwohl wir gar nichts damit zu tun haben. Und da möchte ich einfach für Aufklärung sorgen.

Im Buch nennen Sie sich selbst transsexuell.

Weil es beim ersten Buch noch nicht anders ging. Man muss die Menschen langsam an das Thema heranführen. Deswegen will ich das in Interviews auch immer richtigstellen. Ich bezeichne mich als „intersexuell“. Dabei handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung. Ich wurde mit zwei Geschlechtern geboren.

Einem körperlichen und einem geistigen, sie waren ja „eindeutig“ ein Junge.

Jein, letztlich ist beides körperlich. Man nennt es das Harry-Benjamin-Syndrom, und das bedeutet, dass die Gehirnkodierung in meinem Fall weiblich geprägt war, während der Rest sich männlich entwickelt hat. (Anm. Das Harry-Benjamin-Syndrom nennt neurobiologische Ursachen als Grund für das Auseinanderdriften von körperlichem und geistigem Geschlecht. Betroffene lehnen daher Begriffe wie transgender oder transsexuell oft ab, da diese auch Menschen einbezieht, die beide Geschlechter ausleben wollen.)

Ihr Weg dauert schon lange. Haben Sie das Gefühl, dass sich in Österreich und Deutschland die Situation für Sie verbessert hat?

Es kommt zu einem Teil auch darauf an, wie man selbst damit umgeht. Und dementsprechend reagieren die Menschen. Zu mir sind sie sehr herzlich.

Ihr Buch endet an Ihrem 18. Geburtstag mit der Operation, jetzt sind Sie 25. Wie ist es Ihnen seither ergangen?

Ich habe mittlerweile meine Ausbildung an der Schauspielschule begonnen, bin in meine eigene Wohnung gezogen und nun in Wahrheit auf der Suche nach Mr. Right. Die Details dazu gibt es in meinem zweiten Buch, an dem ich gerade arbeite.

Wie sieht es mit Ihrer Familie aus? Die Beziehung zu Ihrem Vater war ja nach dem Tod Ihrer Mutter sehr problematisch.

Ja, das war schon schwierig. Gerade mein Vater war sehr verunsichert. Die Ärzte haben ja immer so getan, als wäre ich krank. Erst mit 16 waren wir bei einem Spezialisten, er hat meinen Vater dann auch von der Notwendigkeit der Operation und der Medikamentation überzeugt. Seither steht er völlig hinter mir. Auch das Verhältnis zu meinem Bruder hat sich in den letzten Jahren sehr intensiviert, und wir sind eine kleine Einheit geworden.

Sie mussten viele Schikanen aushalten. Vor allem die Behörden haben sich Ihnen oft in den Weg gestellt.

Ja, das war ziemlich krass. Mit 14 wurde ich vom Jugendamt nach Italien geschickt. Ich habe mich noch gefreut, weil ich dachte, ich kann dort mein Leben als Mädchen beginnen. Mit Medikamenten und so. Ich konnte damals kaum in Deutschland in die Schule gehen, weil ich so Angst vor den ganzen Mobbingattacken hatte. Aber in Italien hieß es dann ganz schnell: Raus aus den Fummeln und benimm dich wieder normal. Da hat sich herausgestellt, dass das Ziel eigentlich eine Zwangsumpolung war. Sie wollten, dass ich mich an mein Geschlechtsteil anpasse. Und da bin ich sofort ausgebüchst. Das war ein Horrortrip.

Ist es normal, dass 14-Jährige ins Ausland geschickt werden?

Das war eine Auslandsmaßnahme, die eigentlich für schwer erziehbare Kinder gilt. Sie werden dann irgendwo in die Pampa geschickt, ohne die Sprache zu können, um sie so wieder zu sozialisieren. Bei mir dachten sie, funktioniere das auch.

Viele sind beeindruckt, wie Sie sich in so jungen Jahren durchgekämpft haben.

Das war einfach meine einzige Möglichkeit. Ich würde mich gar nicht als stark bezeichnen. Es war einfach die nackte Angst, die mich da angespornt hat. Da ich genau wusste, wenn sich mein Körper irgendwie männlich entwickelt, dann bringe ich mich um.

Das ist ein heftiger Satz. Sind Sie sicher?

Ja. Ich hatte wirklich Todesangst, männlich zu werden. Das ist wie vor einer Schlucht zu stehen, und man hat Angst hinunterzufallen.

Haben Sie jemals überlegt, gegen Ihre Betreuer, vor allem gegen den Sozialarbeiter Karl in der Jugend-WG, der sie gemobbt hat, vorzugehen?

Jein, ich habe mich ja immer beim Jugendamt beschwert. Aber es hat befunden, je mehr sich das zu erziehende Kind wehrt, desto besser sind die Methoden. Und deswegen bin ich mit meinem Therapeuten auch vor Gericht gegangen und habe alle geklagt.

Es gibt nicht viele 14-Jährige, die in dem Alter so um ihr Recht zu kämpfen.

Stimmt. In Deutschland war es ein Präzedenzfall. Heutzutage bekommt man in diesem Alter zum Glück schon leichter Medikamente, die die Pubertät verzögern, oder später eben Hormone.

Sie haben vorher gesagt, Sie sind auf der Suche nach der großen Liebe. Wie reagieren Männer auf Ihre Geschichte?

Ich glaube, es ist heutzutage generell nicht leicht, einen Partner zu finden, und ich lass mich auch auf wenig ein. Ich suche den Richtigen. Dann liebt man sich einfach als Mensch. Ich sehe meine Geschichte gar nicht als so großes Problem. Jeder hat seine Last zu tragen. Und meine ist Vergangenheit, deswegen stoße ich auch auf viel Verständnis.

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?

Mein größter Wunsch ist es, eine eigene Familie zu gründen, eine feste Partnerschaft und Kinder zu haben. Ich hoffe, dass das in Erfüllung geht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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