Libyens Übergangsregierung kämpft ums Überleben

Bewaffnete stürmten am Sonntag das Parlament in der libyschen Hauptstadt Tripolis.
Bewaffnete stürmten am Sonntag das Parlament in der libyschen Hauptstadt Tripolis.(c) REUTERS
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Chaos in Benghazi, Extremisten stürmen das Parlament in Tripolis. Nach dem Krieg gegen Gadaffi nie entwaffnete Milizen lassen Libyen nicht zu Ruhe kommen.

Nach dem jüngsten Gewaltausbruch mit mindestens 77 Toten in Libyen kämpft die Übergangsregierung ums Überleben. Am Sonntag griffen bewaffnete Extremisten das Parlament in Tripolis an, wenig später verkündete der Chef der Militärpolizei, Mochtar Fernana, im Fernsehen, eine neu gewählte Kommission werde eine Verfassung schreiben und vorübergehend die Aufgaben der Legislative übernehmen.

"Das libysche Volk wird es nicht zulassen, dass sein Land zum Tummelplatz für Terroristen und Extremisten wird", begründete Fernana mit Blick auf die schwache Führung in Tripolis den Schritt. Der Sitz von Libya International, das die Erklärung ausstrahlte, sei kurz darauf von "mindestens vier Raketen" getroffen worden, sagte ein Reporter, der nicht namentlich genannt werden wollte. Es gebe Schäden.

"Einsatz von Waffen unterlassen"

Die libysche Regierung antwortete am Montag mit einer von der Nachrichtenagentur Lana am Montag verbreiteten Erklärung und forderte die Milizen im Land auf, Meinungsäußerungen durch den Einsatz von Waffen sofort zu unterlassen. Zu Fernanas Aufruf äußerte sich die Übergangsregierung nicht.

Bei Kämpfen in Tripolis und Benghazi wurden am Wochenende mindestens 77 Menschen getötet und rund 200 verletzt, es kursierten Putschgerüchte. Die Unruhen hatten am Freitag in Benghazi begonnen und am Sonntag auch Libyens Hauptstadt Tripolis erfasst. Allein beim Sturm auf das libysche Parlament seien zwei Menschen getötet und mindestens 55 verletzt worden, teilte Justizminister Salah al-Marghani mit. Zwischen den Vorgängen in Tripolis und Benghazi gebe es aber "keine wirkliche Verbindung", fügte sie hinzu.

Augenzeugen zufolge fuhren die nicht uniformierten Angreifer mit mehreren Fahrzeugen vor dem Parlamentsgebäude auf. Die Abgeordneten brachten sich in Sicherheit, über dem Gebäude stieg Rauch auf. Nach Angaben von Zeugen handelte es sich bei den Angreifern um Mitglieder der Sintan-Brigaden.

Wenig Rückhalt in der Bevölkerung

Dem im Juli 2012 gewählten Übergangsparlament wird von großen Teilen der Bevölkerung die Legitimität abgesprochen. Es sollte im Februar durch ein neu gewähltes Parlament abgelöst werden, verlängerte aber sein Mandat bis zum Dezember.

Die Sintan-Brigaden, die nach einem Ort südwestlich von Tripolis benannt sind, hatten am bewaffneten Aufstand gegen den langjährigen Machthaber Muammar al-Gaddafi teilgenommen, der im Jahr 2011 mit Unterstützung der NATO gestürzt wurde. Sie kontrollieren Gebiete um den Flughafen von Tripolis. In Richtung des Flughafens zogen sich schließlich auch am Sonntag die Angreifer zurück.

Putsch von Ex-General Khalifa Haftar?

Die Regierung, das Parlament und die Armee warfen Ex-General Khalifa Haftar einen Putschversuch vor. Haftar erklärte, er erkenne das Übergangsparlament nicht an, dessen Mandat sei "abgelaufen".

Der 71-jährige Haftar stieg nach dem Sturz Gaddafis zu einem wichtigen Militärführer auf. Er war bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Libyen und dem Tschad vor Jahrzehnten in die Gewalt der Einheiten des Tschad geraten und unter ungeklärten Umständen von den USA befreit worden. Dort lebte er fast zwei Jahrzehnte im Exil, bevor er im März 2011 nach Libyen zurückkehrte.

Ob hinter all den Entwicklungen tatsächlich ein Plan und hinter dem Plan tatsächlich Khalifa Haftar steht, wie die Übergangsregierung bereits am Samstag erklärte, bleibt unklar. Haftar selbst versichert, er habe keinerlei Absicht, die Macht an sich zu reißen, sondern reagiere nur auf den "Ruf des Volkes

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zeigte sich beunruhigt über die Lage in dem nordafrikanischen Land. "Die Europäische Union ist tief besorgt über die bedeutende Verschlechterung der politischen Situation sowie der Sicherheit in Libyen", sagte Ashtons Sprecher am Montag in Brüssel. "Wir rufen alle Seiten auf, weiteres Blutvergießen zu vermeiden und von Gewalt Abstand zu nehmen."

(APA/dpa)

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