Hochwasser: Hilfswelle nach Flut eint Balkan

Hochwasser, Serbien, Balkan
Hochwasser, Serbien, Balkan(c) REUTERS (SRDJAN ZIVULOVIC)
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Neben Heeren professioneller Retter sind zehntausende Freiwillige im Einsatz. Nicht nur in Serbien zieht die gebeutelte Gesellschaft an einem Strang.

Die guten Gaben füllen die 20.000 Sitzplätze in der Belgrader Arena komplett aus. Helfer sortieren die in Serbiens größter Sporthalle angelieferten Säcke und Kartons mit gespendeter Kleidung, Konserven, Hygieneartikeln und Babynahrung. „Die Leute wollen einfach helfen“, berichtet Jasmina Latinović, im Berufsleben Direktionsassistentin des Hallen-Managements und nun eine Koordinatorin des Auffangzentrums. Über Twitter und Facebook würde der Einsatzstab wissen lassen, wo welche Güter und Helfer benötigt werden: „Und die Leute kommen und kommen – zu Tausenden.“

Meist stumm und übernächtig stehen die aus der überfluteten Provinzstadt Obrenovac geflohenen Hochwasseropfer vor den Essensausgaben um Morgenkaffee an. Helfer mit Gesichtsmasken und Gummihandschuhen registrieren Neuankömmlinge. Die meisten der 3000 in der Arena Untergebrachten seien Frauen mit Kindern oder ältere Menschen, sagt Latinović: „Viele stehen oft unter starkem Schock.“ Für die rund 1000, in Schichten rund um die Uhr eingeteilten Freiwilligen hier sei es wichtig, sich vom Leid „nicht überwältigen“ zu lassen: „Wir bitten die Leute, ihren Enthusiasmus zu dosieren und einzuteilen. Denn auch nach der Flut wird noch lange Hilfe benötigt.“

In der Not stehen alle zusammen

Nicht nur Heerscharen professioneller Retter und Soldaten stemmen sich seit Tagen in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien gegen die Jahrhundertflut: Zehntausende Freiwillige schaufeln zur Stärkung aufgeweichter Fluss- und Straßendämme Sand in Säcke. Kräftige Maschinenbaustudenten mutieren in Notlagern zu sorgenden Krankenpflegern. Hobbyfunker koordinieren private Rettungsaktionen von Anglern, Tauchern und Bergsportlern, die mit eigenen Booten in die Notstandsgebiete kamen.

Das Foto eines Greises in alten Sandalen, der weinend seine neuen Schuhe in eine Sammelstelle brachte, rührt die Nation. Die Hilfswelle ist nicht nur an den Bergen der Hilfsgüter in der Arena, sondern auch an den Konten der Spendenaktionen abzulesen. „Selbst Leute, die nichts haben, bringen, was sie haben“, berichtet die als Kinderbetreuerin in der Arena arbeitende Pädagogikstudentin Nataša: „Alle wollen helfen. Im Krieg und in der Not stehen wir eben doch zusammen.“
Erst die UN-Sanktionen während der Jugoslawien-Kriege der 1990er, Flüchtlinge, die Bombardierung durch die Nato, und nun das Hochwasser; „uns bleibt nichts erspart“, seufzt der Schmied auf dem Belgrader Kalenić-Markt: „Aber das halten wir auch durch.“

An den Bosnien-Krieg (1992–1995) fühlen sich auch die Hochwasseropfer erinnert. 700.000 bis 900.000 Landsleute hätten zumindest zeitweilig ihre Häuser räumen müssen, sagt Bosniens Vize-Katastrophenminister, Samir Agić: Das Hochwasser betreffe direkt oder indirekt fast ein Viertel der Bewohner.

Minen tauchen wieder auf

An den Zuflüssen der Save wird zwar mit Aufräumarbeiten begonnen. Aber nicht nur, weil in Serbien nun der Pegel der Donau richtig zu steigen beginnt, kann von Entwarnung keine Rede sein: Fluten und Muren haben viele Minen freigelegt und Minen-Warnschilder weggerissen. Am Dienstag wurden allein im Raum Prijedor drei Minen gefunden.

In Serbien und Bosnien und Herzegowina wurde angesichts der Katastrophe und der bisher mindestens 40 (nach anderen Quellen 47) Todesopfer mehrtägige Staatstrauer ausgerufen. Die Schäden werden in die Milliarden Euro gehen. Umso freudiger wird vor allem im jahrelang als „Pariastaat“ isolierten Serbien die Hilfe aus aller Welt, und selbst von einstigen Kriegsgegnern, registriert. „Wir sind nicht mehr allein“, sagte etwa eine Sprecherin des Radio-Senders B92.

Als EU-Kandidat kann Serbien mit bis zu einer Milliarde Euro aus dem Brüsseler Solidaritätsfonds rechnen. Bosnien ist ob der Selbstblockade der Politikerkaste und Regierung von dem Status indes noch weit entfernt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2014)

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