Hier tröpfelt das Blut nur

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Mord, Inzest und eine endlose Melodie: „Bluthaus“, die Neufassung der Oper von Georg Friedrich Haas und Händl Klaus, inszeniert von Peter Mussbach, zerrt an den Nerven – nicht immer aus den richtigen Gründen.

Das Blut kam, hell, hervor, geschossen.“ Bei Händl Klaus markieren Satzzeichen fast immer den Wechsel des sprechenden Individuums. „Ihr Eltern haben, eine böse Spur, gezogen, an den Wänden, auf den Böden, an den Klinken.“ Wie Dominosteine fallen Wörter, Phrasen, Halbsätze auf diese Weise hintereinander – ein Redemosaik aus regen Mündern, reduziert und doch musikalisch reich. Das formt Kollektive oder zeigt fatale Nähe, jene inzestuöse Nähe zwischen Nadja und ihrem Vater Werner vor allem, das schockierende Zentrum der Handlung. „Schon groß genug, schon groß genug“ wiederholt dieser immer wieder: ein gruseliges Mantra der Pseudorechtfertigung.

„Schläft, die Mutter, schläft. Leise, soll, ich, zu, dir, komm – a – ö – ru – u – ta“: Das Unsagbare zwischen Vater und Tochter zerstiebt in Silben und Lauten. Dabei ist Werner längst tot, „rücklings, abgestochen“ von seiner Frau Natascha, welche die Familienhölle nicht mehr ertragen konnte. „Dann, hat sie, sich umgebracht“ – in jenem Bluthaus, das die Tochter nun loswerden möchte, mitsamt den nur ihr sichtbaren, zu Gespenstern gewordenen Eltern und all jenen grässlichen und grässlich ambivalenten Erinnerungen, denen sie nie wird entrinnen können . . .
2011 erlebte die Oper „Bluthaus“ mit der Musik von Georg Friedrich Haas auf einen Text von Händl Klaus ihre erfolgreiche Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen – die erste Zusammenarbeit der beiden fürs Musiktheater: 2013 wurde bei dem Festival in Baden-Württemberg schon die nächste gemeinsame Oper vorgestellt, „Thomas“, über das Sterben eines geliebten Menschen.

„Bluthaus“ ist freilich kein Drama über den Tod, sondern über das Weiterleben. Schon lange vor den Fällen Kampusch und Fritzl war Händl Klaus die Idee dazu gekommen – als er vor 14 Jahren die Hölderlin-Oper „Nacht“ des ihm damals unbekannten Komponisten Georg Friedrich Haas im Radio gehört hatte. In Schwetzingen griffen dann die künstlerischen Räder der beiden erstmals und gleich wie geschmiert ineinander. Das fand auch die internationale Presse, beeindruckt von dem beklemmend düsteren, noch dazu plötzlich „brandaktuellen“ Stück. Dennoch war Haas mit einigen Passagen nicht glücklich und erarbeitete im Auftrag der Wiener Festwochen eine Zweitfassung, die nun auf die Bühne des Theaters an der Wien kam – und dabei eher höflichen als gar enthusiastischen Applaus erntete.

Das lag weniger an Peter Mussbach, der als Regisseur alle Plakativität und sexuelle Deutlichkeit mied, zwischen Realismus und Surrealität zu vermitteln suchte und nicht zuletzt auf die Wirkung seines eigenen, wandlungsfähigen Bühnenbilds setzte – sowie auf subtile, manchmal zu subtile Details der Personenzeichnung. Großartig, wie etwa Sarah Wegener als gepeinigte Nadja nicht nur klagende und dabei wunderbar präzis intonierte Soprantöne hören lässt, sondern in Kleidchen und Socken auch quasi infantilisiert wirkt, ihr Spielbein immer wieder in scheuer Unsicherheit auf die Zehenballen stellt: eine verletzte Kinderseele. „Es stimmt schon, was man sagt. Ich habe den Vater natürlich geliebt“, bekennt sie – und wer die samtweich daherschleichenden, gleitenden Verführertöne von Otto Katzameiers lyrischem Bariton hört und ihn über die einmal kühle Weite, einmal klaustrophobische Enge vermittelnde Bühne schreiten sieht, der glaubt auch den Aspekt grausamster Zärtlichkeit begreifen zu können, der Werner mit Tochter und Frau verkettet. Mit dieser, Ruth Weber leiht ihr durch leicht hysterischen Beiklang eine perfekt passende Stimme, eröffnet er das Stück mit einer neu komponierten Duett-Vokalise: Sie macht von Beginn an klar, dass die knapp zwei Stunden, die da folgen, vor allem ein Lamento darstellen. Aus diesem kann Nadja auch der Makler Axel Freund nicht befreien: Daniel Gloger spielt ihn intensiv, sein Countertenor klingt jedoch meist unmotiviert herb und schrill.

Wie aus dem „Kaisermühlen-Blues“


Nein, was die Oper hemmte, lag doch in erster Linie am Timing der Partitur. Dabei zieht diese eine kluge, streng gliedernde Hierarchie durchs Personal: Nur die Hauptpersonen (und drei Knaben) singen, der Rest ist Schauspielern anvertraut, welche die potenziellen Hauskäufer mimen, im Wort-Domino nicht ganz souverän sind und dabei wirken wie direkt dem „Kaisermühlen Blues“ entsprungen, obwohl doch das Bluthaus „tief im Süden Niederösterreichs“ steht.

Haas lässt dazu anfangs immerfort aufsteigende und doch nie an ein Ziel gelangende Glissandi spielen oder setzt Akkordsäulen dagegen, die Teiltonspektren mikrotonal akkurat nachahmen, umwandeln, verbeulen. Das macht in seinen Orchesterwerken oft großartigen Eindruck, und das Klangforum Wien unter Peter Rundel bringt dergleichen auch virtuos zum Schillern. Doch auf die minuziös ausgearbeitete Struktur des Librettos reagiert Haas zu mechanistisch. Indem er jeder Figur ein Schlaginstrument beiordnet und die Form des Textes auch der musikalischen Gestaltung zugrunde legt, nützen sich Guirokratzen, Gongschläge etc. gegen Streichertriller u. ä. während der langen Szenen der Hausbesichtigung tüchtig ab. Erst wenn die Vergangenheit von den hämischen Nachbarn ans Licht gezerrt wird, Lebende und Tote Nadja bedrängen und die Musik fast à la Phil Glass über distinkten Harmonien eine endlose Bläsermelodie anstimmt, die sich stets in sich selbst zurückzuwinden scheint, kommt durch dieses Bild ausweglos-ambivalenter, schauderbarer „Schönheit“ Spannung auf – die dann, trotz der neu komponierten, dezent umgesetzten Sexszene, im viel zu langen Schlussteil wieder verpufft. Emotionale Dringlichkeit oder gar Erschütterung kann der Abend dadurch kaum erzielen – nur große Achtung vor den Einzelleistungen. Für einhellige Zustimmung war das offenbar genug.

Weitere Termine: Noch am 13. und 15. 6., 19.30 Uhr.

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