Blumenkinder mit Stallgeruch

Mit ironischer Distanz: Birgit Pölzls Roman über eine Kommune auf dem Land.

Stadtromane gibt es viele. Von Heimito von Doderer, beispielsweise. Dorfromane sind in der österreichischen Literatur weniger gefragt. Am ehesten pflegen dieses Genre – lange nach Gert Jonke mit seinem „Geometrischen Heimatroman“ – Josef Winkler oderFlorjan Lipuš in Kärnten. In der Steiermark haben sie nun mit Birgit Pölzl eine kongeniale Partnerin gefunden.

Weniger ausgeprägt als bei Josef Winkler sind bei Pölzl die literarischen Beschwörungen der katholischen Traditionen auf dem Land. Außerdem sind ihre distanziert-intimen Anspielungen, in denen im Liebesnest das Glied anschwillt und die Scham massiert wird, heterosexuell, auch wenn es um das „Techtelmechtel“ des Pfarrers mit einer Wirtin geht, das niemandem verborgen bleibt. Am Land haben die Wände nicht nur Ohren, sondern auch Löcher.

Die 1959 in Graz geborene Birgit Pölzl erzählt mit ironischer Distanz über elf Leute, über sogenannte Aussteiger mit ihren Kindern, die „Das Weite suchen“ und sich dazu am Ginthof einnisten. Sie baut so eine Differenz zum Verhalten der autochthonen Dörflerinnen und Dörfler auf,die den Kommunarden mit Ablehnung begegnen. Das von den Städtern im Dorf geführte Leben, inklusive eigenem Schamanen, weckt Assoziationen mit der – wegen ihres Übervaters in Verruf geratenen – Kommune von Otto Mühl.

An die bäuerlichen Arbeiten gehen sie leidenschaftlich, aber unbedarft heran, zumindest nach Meinung der Urbevölkerung. Sie mähen, melken und pflügen. Und sie wechseln die Partner, sodass dieser Lebensgemeinschaft ein permanentes familiäres Patchwork anhaftet. Das führt aber auch zu Brüchen und Verletzungen, die das filigrane Hofgefüge schwer infrage stellen. Damit nicht genug.

Kenntnisse in Mutterkuhhaltung

Die Frauen und Männer kommen aus verschiedenen Berufen und benehmen sich auch so; das heißt, nicht immer lebensnah und praktisch, weil ihre bisherigen Erfahrungen nicht besonders an das Landleben angepasst sind. Die Autorin selbst hingegen beweist sich mit diesem Roman als Landwirtschaftsfachfrau mit allerlei Kenntnissen wie etwa der Mutterkuhhaltung. Den Anfeindungen der Eingesessenen begegnen Pölzls späte Blumenkinder, die sie Sinndilettanten nennt, jedoch konsequent, fast mit kindlichem Bemühen.

Erreichen wollen sie eine achtsame Lebensform, die in ihren Respekt vor allem die Natur einschließt, der sie unverfälschte Lebensmittel abgewinnen wollen. Dilettantismus, Langsamkeit und Widerständigkeit eröffnen neue Wege. Sie teilen ihre Erfahrungen sogar mit den Menschen der Umgebung. Begegnungen werden möglich und beginnen gewöhnlich im Dorfwirtshaus, wo der Katholizismus butterweich mit „fernöstlichem Schmonzes“ gebrochen wird, um einen kleinen gemeinsamen Nenner zu finden.

Birgit Pölzls Roman wird jene Leserinnen und Leser interessieren, die eine gewisse Affinität zu anderen Lebensformen, zu einer Art Anarchie ohne Gewalt und zu einem langsamen Landleben sowie einer Dorfprosa haben und denen sanfte Gesellschaftskritik schon immer die liebste war. Kluburlaube, Markenkleidung und Pferdestärken: Leserinnen und Leser, die sich solches erwarten, würden sich mit diesem Roman vergeblich abmühen, obwohl die Autorin auch die sprachlichen Eigenheiten der Region, in der das Buch handelt, und nicht nur jene der Menschen aufs Korn nimmt und persifliert. ■

Birgit Pölzl

Das Weite suchen

Roman. 232 S., geb., €19,50 (Leykam Verlag, Graz)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2014)

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