Die Europäische Volkspartei verteidigt Platz eins. Spitzenkandidat Juncker erhebt nun den Anspruch auf den Posten des Kommissionschefs. In Frankreich landet der rechte Front National einen Erdrutschsieg.
Angekündigte Katastrophen finden selten statt: Am Sonntagabend deuteten alle Trends darauf hin, dass das befürchtete demokratiepolitische Debakel doch noch ausbleiben dürfte. Der insgesamt viertägige Wahlgang war von der Sorge überschattet, dass die europaweite Wahlbeteiligung weiter sinkt – was die Legitimation des neu gewählten Europaparlaments infrage stellen würde. Doch dazu kam es offenbar nicht: Nicht nur in Deutschland und Frankreich, den zwei bevölkerungsreichsten Mitgliedern der Eurozone, lag die Wahlbeteiligung über dem Niveau von 2009, in Schweden wurde Schätzungen zufolge mit 56 Prozent gar die höchste je gemessene EU-Wahlbeteiligung ermittelt. 2009 waren 43 Prozent der EU-Bürger zu den Wahlurnen geschritten.
Bewahrheitet hat sich indes die Sorge vor einem Triumphzug der antieuropäischen Rattenfänger – zwar nicht flächendeckend, aber doch signifikant. In jenen Ländern, die an Selbstzweifeln und/oder Reformstau leiden, artete das Votum zu einer Abrechnung mit dem Establishment aus – allen voran in Frankreich, wo der Front National von Marine Le Pen mit 25 Prozent der Stimmen die stärkste Partei wurde und die Sozialisten von Staatschef François Hollande auf den blamablen dritten Platz verdrängte.
Europas größte Wahlverlierer
Die Briten, die schon am Donnerstag abgestimmt haben, machten Nigel Farage und seine EU-feindlichen UKIP zum Wahlsieger – darauf deuten zumindest die Ergebnisse der zeitgleich abgehaltenen Kommunalwahl hin. Und in Griechenland reüssierte die linkspopulistische Syriza-Partei von Alexis Tsipras.
Doch nicht überall wurden die Regierungsparteien abgestraft. In Deutschland gab es für Angela Merkels CDU zwar weniger Stimmen, doch die Christdemokraten blieben die Nummer eins, während es für ihren Koalitionspartner SPD Zugewinne gab. Die Vertreter des Establishments in Lettland, Finnland und Malta lagen ebenfalls in Führung. In den Niederlanden lag die EU-feindliche PVV von Geert Wilders fünf Prozent unter ihrem Wahlergebnis von 2009, in Belgien musste der rechtspopulistische Vlaams Belang Federn lassen.
EVP klar in Führung
Und wer wird das Rennen um den Posten des EU-Kommissionpräsidenten machen? Aller Voraussicht nach Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, denn die EVP scheint europaweit die Nase deutlich vorne zu haben – letzten Kalkulationen zufolge soll sie 229 Mandate haben, gegenüber 195 für die europäischen Sozialdemokraten (S&D) mit Martin Schulz an der Spitze. Am Abend bekräftigte Juncker sogleich seinen Anspruch auf die Nachfolge von José Manuel Barroso an der Spitze der Brüsseler Behörde, falls die EVP wie prognostiziert das Rennen macht. Doch das letzte Wort haben die Staats- und Regierungschefs, die den Kandidaten nominieren müssen. Sollten sie ihn links liegen lassen, würden in Europa „alle Kinder böse“ werden, drohte der Luxemburger.
Geschlagen geben wollen sich die Sozialdemokraten allerdings nicht: „Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Mehrheit für einen Kommissionspräsidenten Martin Schulz finden können“, sagte der Spitzenkandidat am Abend. Die politischen Gruppen im Europaparlament müssen sich bis Mitte Juni konstituieren – sollten genügend Mandatare, die derzeit noch keiner Parteifamilie angehören, der S&D beitreten, könnte Schulz doch noch eine Mehrheit im Plenum erreichen.
Die Kandidatur des Luxemburgers als EU-Kommissionspräsident ist unsicher. Parteifreunde wenden sich ab, die deutsche Kanzlerin spielt auf Zeit. Ratspräsident Herman van Rompuy soll nun vermitteln.
Analyse. Der EU-Kommissionspräsident gibt die grobe Fahrtrichtung der Union vor. Deshalb gibt es nationale Widerstände gegen einen allzu selbstbewussten Kandidaten.
Um den Posten des Kommissionspräsidenten zu erhalten, muss Jean-Claude Juncker seinen Rivalen Martin Schulz in die Schranken weisen und Alliierte in den EU-Hauptstädten finden.
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