In den Hochwasserregionen Serbiens und Bosnien und Herzegowinas wächst der Unmut über Plünderer, Geschäftemacher und selbstgerechte behördliche Amtsträger, die Flutopfern Schuld an deren Lage zuschieben wollen.
Für Serbiens Staatschef sind die Verantwortlichen für die Opfer der Hochwasserkatastrophe klar: Regierung und Behörden hätten ihre Arbeit „tadellos“ verrichtet, erteilte Präsident Tomislav Nikolić am Wochenende den Staatsdienern die Absolution. Doch für die Bürger solle die Katastrophe „eine Warnung“ sein: „Wie oft haben wir sie gebeten, auf die Anweisungen der Retter zu hören und sich wegbringen zu lassen! Wären sie kooperationsbereiter gewesen, hätten Tote vermieden werden können.“
Hilfsgüter verkauft
Die präsidiale Schelte löste Empörung aus: Ausgerechnet Nikolić war in den ersten Tagen der Flut abgetaucht – angeblich, um zu Hause Gäste mit selbst gebranntem Rakija zu bewirten. „Wo ist Toma?“, lautete der Schriftzug mit der Frage nach dem Verbleib des Präsidenten, den verbitterte Helfer mit Sandsäcken auf feuchte Uferwiesen legten. „Toma beschuldigt die Toten, dass sie selbst schuld sind, dass sie tot sind“, titelt denn auch das Boulevard-Blatt „Alo!“: Und: „Präsident, schämen Sie sich nicht?“
Zusehends sinken an Donau und Save die Pegel, doch mehrt sich in Bosnien und Herzegowina sowie in Serbien nicht nur der Zorn über Plünderer, Betrüger und windige Geschäftemacher, die aus der Not Profit zu ziehen suchen, etwa durch Verkauf von Hilfsgütern. Ins Zentrum der Kritik rücken vermehrt Würdenträger, die eigene Versäumnisse zu verwischen und die Verantwortung für Fehlentscheidungen und vermeidbare Opfer auf die Betroffenen zu schieben suchen.
„Die Situation ist völlig unter Kontrolle“, lautete der Standardsatz, mit denen Serbiens Minister während der live ausgestrahlten Sitzungen des Krisenstabs soldatengleich dem sich als Krisengeneral gerierenden Premier Aleksander Vučić zu rapportieren pflegten. Die Hilfsbereitschaft der Bürger und die Welle der Solidarität waren zwar beeindruckend, doch unter Kontrolle war lange Zeit äußerst wenig. Es mehren sich die Hinweise, dass zumindest die 14 Toten in der Save-Stadt Obrenovac hätten vermieden werden können: Erst, als die Dämme brachen, wurde mit der Evakuierung begonnen.
Drei Tage zuvor hatte der Meteorologische Dienst vor dem Bruch der Deiche gewarnt. Eine Evakuierung mahnte am Abend vor der Überflutung vergeblich auch der Direktor des lokalen Kraftwerks ein. Die Sirenen erschallten jedoch erst am Morgen des 16. Mai, als vielen das Wasser bereits bis zur Hüfte stand. Die auf die Dächer ihrer Häuser geflüchteten Menschen forderte Belgrads Bürgermeister Sinisa Mali wenig später gar auf, in ihren Häusern zu bleiben – eine irre Empfehlung, die er hernach von offiziellen Websites tilgen ließ.
Hackerangriffe auf Medien
Kleinere Blog- und Onlineportale, die über die Pannen des Krisenstabs berichteten oder die pathetische Inszenierung des Premiers kritisierten, sahen sich bald seltsamen Hackerattacken ausgesetzt – manche mussten ihren Betrieb zeitweise einstellen. Es schien gar so, als würde ein Ausnahmezustand zur Knebelung der Medien ausgenutzt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2014)