Italien: Matteo Renzi „verschrottet“ Wut-Politiker Beppe Grillo

Matteo Renzi
Matteo Renzi(c) APA/EPA/ANGELO CARCONI (ANGELO CARCONI)
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Mit mehr als 40 Prozent erreichen die Sozialdemokraten ein historisches Ergebnis – und sind doppelt so stark wie EU-Kritiker Grillo.

Rom. Dieser Montag – das wäre der Tag des Matteo Renzi. Die Europawahl hat er immer schon als seine eigenen betrachtet. Und er hat einen Sieg errungen wie keiner in Italien seit den Christdemokraten vor mehr als fünfzig Jahren. Mehr als 40 Prozent hat Renzi geschafft – ein Ergebnis, von dem die Linke in seinem Land bisher allenfalls träumen konnte. In Mailand schießen die Börsenkurse nach oben.

Doch als Renzi nach langer Nacht, mit spürbar reduzierter Sprechgeschwindigkeit, am Montag vor die Medien tritt, da will er so gar nicht den Sieger geben. Da verbreitet er keinen Hauch von Triumph oder von Feiern: „Natürlich“, sagt Renzi, „bin ich glücklich und bewegt... Italien hat die Hoffnung gewählt, nicht die Wut.“ Die Bürger hätten einen klaren Auftrag gegeben, „das Land und Europa zu verändern. Wir haben kein Alibi mehr; wir dürfen bei den Reformen jetzt keine Minute verlieren.“

Renzi sagt zwar auch, die Wahl sei „keine Abstimmung über meine Person” gewesen – aber in Italien wissen alle, dass das nicht stimmt. Den entscheidenden Wahlkampf hat Renzi nahezu allein bestritten, und Meinungsforscher sagen, zu mindestens 80 Prozent gehe der Sieg der Sozialdemokraten auf sein Konto. Aber was keine Umfrage vorhergesehen hatte, war das Ausmaß, in dem Renzi schließlich seine Gegner distanziert hat – allen voran Beppe Grillo, den pöbelnden Radikalpopulisten.

Studien hatten vor der Wahl gar gemeint, der Euro- und Europagegner Grillo könnte, getragen von der Wut der Italiener über die aussichtslos fortdauernde Krise, den Siegeszug fortsetzen, der seine „Fünf-Sterne-Bewegung“ bei den Parlamentswahlen im Februar 2013 aus dem Stand zur rechnerisch stärksten Kraft im Land gemacht hat. Doch am Ende musste sich Grillo – von niemandem auch nur annähernd vorausgeahnt – mit halb so viel Stimmen zufrieden geben wie der von ihm konsequent als „kleiner Schwachkopf“ diffamierte Regierungschef. Er kam nur auf 21 Prozent.

Und mehr als eine Million Wähler sind, von Grillo enttäuscht, zu den Sozialdemokraten zurückgewandert. Darunter seien viele junge Leute gewesen, sagen die Wahlforscher. „Es hätte so viel passieren können“, gibt Matteo Renzi nach der Wahl zu, „aber Italien hat sich behauptet.“ Und der einstige Komiker Grillo reagierte auf das Ergebnis als melodramatischer Showstar: Vor den Fernsehkameras tat er so, als rammte er sich einen Dolch in die Brust.

„Die Zeit arbeitet für uns“

Wobei: es klaffen im Ergebnis wieder einmal große Unterschiede. Während der industrialisierte, gutbürgerliche Norden den Chef der Sozialdemokraten auf Händen trägt und dafür den Populisten tief fallen lässt, behauptet Grillo sich mit seinem radikalen Protestpotenzial im Süden und, laut Wahlanalysen, bei den unteren Schichten, den weniger (Aus-)Gebildeten, den Arbeitslosen, denen sich auch Renzi nicht als Hoffnungsträger vermitteln konnte. In diesen geografischen und sozialen Zonen ist Grillo noch immer genauso stark wie bei der Parlamentswahl vor einem Jahr. In einer Region liegt Renzi gar nur drei Punkte vor ihm. Und Grillo sagt: „Die Zeit arbeitet für uns.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2014)

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